Österreichs Kanzler Kurz unter dem Verdacht der Untreue und Bestechlichkeit
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© ASSOCIATED PRESS / Darko Bandic

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz steht nach einer Durchsuchung im Kanzleramt, dem Finanzministerium und der ÖVP-Parteizentrale durch die österreichische Staatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität (WKStA) unter Druck. Engen Mitstreitern von Kurz wird vorgeworfen, sich mit Geld aus dem Finanzministerium günstige Berichterstattung in einem Boulevardmedium erkauft zu haben, um Kurz ab 2016 den Weg an die Parteispitze und in das Bundeskanzleramt zu ebnen.

Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung - WKStA erhebt schwere Vorwürfe

Der Vorwurf der WKStA gegen Kurz, neun weitere Beschuldigte und drei Verbände lautet, in den Jahren 2016 bis zumindest 2018 budgetäre Mittel des Bundesministeriums für Finanzen (also Steuergelder) zur Finanzierung von ausschließlich parteipolitisch motivierten, mitunter manipulierten Umfragen eines Meinungsforschungsunternehmens im Interesse der ÖVP und deren Spitzenfunktionär(en) verwendet zu haben. Diese Umfrageergebnisse sollen - ohne als Anzeige deklariert worden zu sein - im redaktionellen Teil der österreichischen Tageszeitung "Österreich" und anderen zu dieser Gruppe gehörenden Medien veröffentlicht worden sein. Im Gegenzug sollen seitens der befassten Amtsträger im Rahmen von Medien- und Inseratenkooperationen Zahlungen an das Medienunternehmen geleistet worden sein. Die Zahlungen für diese Kooperationen sollen im wesentlichen verdeckte Gegenleistungen für die den Amtsträgern eingeräumten Einflussmöglichkeiten auf die redaktionelle Berichterstattung gewesen sein. Die Ermittler sehen in Kurz einen Beteiligten an den Verbrechen der Untreue und Bestechlichkeit.

Ermittlungen nach Zufallsfund im Rahmen der "Casinos-Affäre"

Die WKStA ging nach eigenen Angaben einem Verdacht nach, der sich im Zusammenhang mit Ermittlungen im Verfahren zur Vorstandsbestellung bei der Casinos Austria AG ergeben hat. Im Rahmen der sogenannten "Casinos-Affäre" wurde Politikerinnen und Politikern der damaligen Regierungsparteien ÖVP und FPÖ vorgeworfen, illegale Absprachen mit dem Glücksspielkonzern Novomatic getätigt zu haben. FPÖ-Bezirksrat Peter Sidlo soll in den Vorstand der zu einem Drittel in staatlichem Besitz befindlichen Casinos Austria AG berufen worden sein, obwohl er als unqualifiziert gegolten habe. Als Gegenleistung sollen Politikerinnen und Politiker der Parteien versprochen haben, sich für Online-Gaming-Lizenzen und Casino-Lizenzen sowie die Wiedereinführung des "Kleinen Glückspiels" in Wien einzusetzen. Im Rahmen dieser Ermittlungen sei die Staatsanwaltschaft auf weitere Erkenntnisse gestoßen, die zuletzt zur Durchsuchung in den drei Bundesministerien am Mittwoch geführt haben.

Politikwissenschaftlerin: "Der Hype und die ganze Idee von Sebastian Kurz wurden fabriziert"

Die österreichische Politikwissenschaftlerin und Kurz-Kritikerin Natascha Strobl äußerte sich auf Twitter zu den Vorfällen. Ihrer Ansicht nach sind die Vorwürfe in Bezug auf die Person Sebastian Kurz deswegen so brisant, weil dessen gesamte politische Existenz auf "dieser durch Umfragen fabrizierten Realität" aufbaue. Umfragen seien die wichtigste Legitimationsquelle für die Politik von Kurz. Mit guten Umfrageergebnissen habe sich Kurz nicht nur gegen den ehemaligen Bundeskanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner auf dem Weg ins Kanzleramt durchgesetzt. Er habe darüber hinaus umstrittene politische Vorhaben wie etwa die Kürzung des Arbeitslosengeldes oder die strenge Abschiebepolitik nach Afghanistan mit entsprechenden - offenbar gekauften - Umfrageergebnisse der Mediengruppe "Österreich" gerechtfertigt.

Beschuldigte bestreiten die Vorwürfe

Die Mediengruppe wiederum bestreitet den gegen sie erhobenen Vorwurf der Bestechung, wie mehrere deutsche Zeitungen, darunter die "Süddeutsche Zeitung" und die "Zeit" berichten. Demnach habe das Unternehmen mitgeteilt, dass es zu keinem Zeitpunkt eine Vereinbarung mit dem Finanzministerium über eine Bezahlung von Umfragen durch Inserate gegeben habe. Auch Bundeskanzler Kurz weist alle Vorwürfe zurück. Es gebe kein Indiz dafür, dass er persönlich in die Beauftragung für ihn günstiger Meinungsumfragen oder in das Schalten von Inseraten verwickelt sei, sagte Kurz in der ORF-Nachrichtensendung "ZiB2". Die Vorwürfe richteten sich ausschließlich gegen Mitarbeiter des Finanzministeriums. Dass Umfragen zu seinen Gunsten manipuliert worden seien, sei darüber hinaus schon deshalb abwegig, weil Dutzende Umfragen im fraglichen Zeitraum ganz ähnliche Werte für Parteien und Politiker ergeben hätten. Einen Rücktritt schloss Kurz aus. Auf die Frage, ob die Koalition mit den Grünen weiter bestehen werde, sagte Kurz: "Ich kann mir beim besten Willen nichts anderes vorstellen." 

Koalitionspartner stellt Handlungsfähigkeit des Kanzlers in Frage

Das sieht der Koalitionspartner jedoch offenbar anders. "Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen, die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers ist vor diesem Hintergrund in Frage gestellt", sagte der grüne Vizekanzler Werner Kogler heute in einer Mitteilung. Kogler kündigte Gespräche mit allen Parlamentsparteien und mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen an. "Der Eindruck ist verheerend", so Kogler. "Wir müssen gemeinsam für Stabilität und Aufklärung sorgen und darum möchte ich parteiübergreifend das weitere Vorgehen beraten". Am Mittwoch hatten bereits die Oppositionsparteien im Parlament - die Sozialdemokraten, die liberalen Neos und die rechte FPÖ - den Rücktritt von Kurz gefordert. Einige Medien mutmaßen, dass die ÖVP wegen der Vorfälle in eine Regierungskrise schlittern könnte.

Delikte nach österreichischem Strafgesetzbuch mit Geld- oder Freiheitsstrafe bedroht

Fest steht lediglich, dass sich Kurz - sollten sich die illegalen Geschäfte und eine Beteiligung von Kurz hieran beweisen lassen - vor Gericht verantworten müssen würde. Ihm droht in diesem Fall voraussichtlich eine Freiheitsstrafe. Gemäß § 153 Abs. 1, 3 des österreichischen Strafgesetzbuchs lautet der Strafrahmen für Untreue, durch die ein Schaden von über 5.000 Euro entsteht, auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Bei einem Schaden von über 300.000 Euro sogar von einem bis zu zehn Jahren. Die Regelung ist damit weitestgehend mit dem deutschen Untreuestraftatbestand vergleichbar, §§ 266 Abs. 1, 2, 263 Abs. 3 StGB. Ein schwerer Fall von Bestechlichkeit - § 304 Abs. 1, 2 des österreichischen Strafgesetzbuchs - wird ebenfalls mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren (Wert des Vorteils über 3.000 Euro) bzw. von einem bis zu zehn Jahren (Wert des Vorteils über 50.000 Euro) bestraft. Auch in Deutschland wäre die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht, vgl. § 332 Abs. 1 StGB.

Redaktion beck-aktuell, 7. Oktober 2021 (ergänzt durch Material der dpa).