Österreichischer Verfassungsgerichtshof kippt Sterbehilfe-Verbot

Der Österreichische Verfassungsgerichtshof hat den Weg für Sterbehilfe frei gemacht. Am 11.12.2020 erklärte er das Verbot der Hilfeleistung zum Suizid im österreichischen Strafgesetzbuch für verfassungswidrig. Es verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, das auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben umfasse. Denn es verbiete die Hilfeleistung zur Selbsttötung ohne jede Ausnahme.

VfGH: Auch Recht auf menschenwürdiges Sterben

Das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasse "sowohl das Recht auf die Gestaltung des Lebens als auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben", erklärten die Richter. Die Aufhebung des Verbots tritt zum 01.01.2022 in Kraft. Die Anfechtung des Tatbestands der Tötung auf Verlangen wurde hingegen als unzulässig zurückgewiesen.

Reaktionen auf Urteil unterschiedlich

Die Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) sprach von einem historischen Durchbruch. Österreich ziehe damit im internationalen Vergleich nach, wenn auch mit einiger Verspätung. Die katholische Kirche zeigte sich dagegen bestürzt. Das Sterbehilfe-Urteil sei ein Dammbruch und gefährde die Solidarität, kritisierte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Salzburger Erzbischof Franz Lackner. "Die selbstverständliche Solidarität mit Hilfesuchenden in unserer Gesellschaft wird durch dieses Urteil grundlegend verändert", sagte Lackner weiter. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler von der regierenden ÖVP sagte: "Wir werden auch weiterhin dafür sorgen, dass niemand den Wert seines Lebens infrage stellen muss. Daher müssen wir nun prüfen, welche gesetzlichen Schutzmaßnahmen notwendig sind."

Mehrere Schwerkranke hatten geklagt

Vier Antragsteller hatten geklagt, darunter ein an Multipler Sklerose erkrankter Mann (56), der ans Bett gefesselt ist und nicht mehr ohne fremde Hilfe aus dem Leben scheiden kann, sowie ein gesunder 75-Jähriger, der im Fall einer unheilbaren Erkrankung Sterbehilfe in Anspruch nehmen will. Zum Kreis der Kläger gehören auch ein 80-Jähriger, der an der Nervenkrankheit Parkinson leidet, und ein Arzt (66). Der Mediziner möchte Sterbehilfe leisten, fürchtet aber straf- und standesrechtliche Konsequenzen.

BVerfG: Recht auf selbstbestimmtes Sterben für jeden

In Deutschland hatte das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 (BeckRS 2020, 2216) nach Klagen von Schwerkranken, Sterbehelfern und Ärzten ebenfalls die Tür für Sterbehilfe-Angebote aufgestoßen. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen - das gelte für jeden, nicht nur für unheilbar Kranke.

VfGH Österreich, Urteil vom 11.12.2020 - .12.2020 G

Redaktion beck-aktuell, 14. Dezember 2020 (dpa).