OLG-Richter wurde wegen zu langsamen Arbeitens ermahnt
Weil der OLG-Richter Thomas Schulte-Kellinghaus zu langsam arbeite, hielt die damalige Gerichtspräsidentin ihm gemäß § 26 Abs. 2 DRiG die ordnungswidrige Art der Ausführung der Amtsgeschäfte vor und ermahnte ihn zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte. Schulte-Kellinghaus unterschreite seit Jahren ganz erheblich und jenseits aller großzügig zu bemessender Toleranzbereiche das Durchschnittspensum. Seine Erledigungszahlen hätten über mehrere Jahre etwa 30% unter dem Durchschnitt seiner Kollegen gelegen. Dagegen wandte dieser sich 2012, blieb aber sowohl vor dem Richterdienstgericht als auch vor dem Dienstgerichtshof ohne Erfolg. Auch seine Revision beim Bundesgerichtshof scheiterte nun, nachdem der die Sache 2017 noch einmal zurückverwiesen hatte.
BGH: Ermahnung zu unverzögerter Erledigung zulässig
Laut BGH (Urteil vom 12.05.2020, Az: RiZ (R) 3/19) darf ein Dienstvorgesetzter einen Richter, dessen Arbeitsweise zu Unzuträglichkeiten in der Verfahrensabwicklung in seinem richterlichen Dezernat geführt habe, grundsätzlich zu einer ordnungsgemäßen, unverzögerten Erledigung der Amtsgeschäfte ermahnen und ihm eine ordnungswidrige verzögerte Ausführung vorhalten. Die richterliche Unabhängigkeit sei erst dann beeinträchtigt, wenn dem Richter ein Pensum abverlangt werde, das sich auch von anderen Richtern vergleichbarer Position nicht mehr sachgerecht, also ohne Zuhilfenahme pflichtwidriger Praktiken, bewältigen lasse. Das sei hier aber nicht der Fall. Schulte-Kellinghaus hat angekündigt, gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde zu erheben.
Neue Richtervereinigung sieht richterliche Unabhängigkeit verletzt
Der NRV kritisiert die Auffassung, ein Dienstvorgesetzter sei berechtigt, Richtern für ihre Rechtsanwendung Zeitvorgaben zu machen, als verfassungswidrig und sieht in darin einen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit genäß Art. 97 GG. Die "Art der Ausführung der Amtsgeschäfte" in § 26 Abs. 2 DRiG beziehe sich allein auf die äußere Ordnung der richterlichen Tätigkeit, etwa die Einhaltung der Arbeitszeit, die Aktenordnung, das Mäßigungsgebot, einen angemessenen Umgang mit Mitarbeitern und Kollegen sowie die Nutzung dienstlicher Ressourcen ausschließlich für dienstliche Zwecken. Diese äußeren Umstände richterlicher Tätigkeit seien im Fall von Schulte-Kellinghaus aber gar nicht betroffen. Die Frage aber, wie viel Zeit ein Richter für den von ihm zu entscheidenden Fall aufwenden müsse, um den Sachverhalt prozessordnungsgemäß zu ermitteln und die Rechtsfragen ausreichend zu klären, betreffe den Kernbereich richterlicher Unabhängigkeit.
Gesetzesbindung wird Fiskalinteressen geopfert
Der BGH habe die Gesetzesbindung der Richter (Art. 20 Abs. 3 GG) unter einen Zeitvorbehalt gestellt. Die Gesetzesbindung gelte nur noch so lange, wie sie für den Richter nicht zu viel Arbeitsaufwand erfordere. Denn jeder Richter, der deutlich vom Durchschnitt abweiche, müsse nun damit rechnen, disziplinarisch belangt zu werden. Bei jeder richterlichen Handlung (etwa Einholung eines Sachverständigengutachtens, richterlicher Hinweis, Zeugenvernehmung oder Anhörung, weitere Ermittlungsaufträge an Polizei oder Jugendamt, Urteilsabfassung), müsse er sich fragen, ob er noch hinreichend im Durchschnitt liegt. Das Dienstgericht des Bundes behaupte gegen jede Evidenz, Zeitvorgaben hätten keinen Einfluss auf Verfahrensführung und Entscheidung von Richtern. Wie das aber ohne eine Änderung der Rechtsanwendung gehen solle, leuchte nicht ein. Die BGH-Entscheidung opfere die Gesetzesbindung den Fiskalinteressen der Landesregierungen.