Streit um Ruhetage im ersten Staatsexamen in Baden-Württemberg

Der Bundesvorstand und der Landesverband Baden-Württemberg der Neuen Richtervereinigung e.V. (NRV) haben sich gemeinsam mit Studierendengruppen aus Freiburg und Heidelberg dagegen ausgesprochen, die Ruhezeiten in der schriftlichen Prüfung zum ersten Staatsexamen zu streichen. Die Prüfungen seien bereits heute eine Tortur. Diese Belastung weiter zu verschärfen sei untragbar.

Landesjustizprüfungsamt Baden-Württemberg streicht Ruhetage

Das Landesjustizprüfungsamt Baden-Württemberg hatte jüngst beschlossen, die zwei Ruhetage zu streichen, die bisher pro Examensrunde vorgesehen waren. Begründet wurde dies damit, es sei so leichter, Räumlichkeiten für die Prüfungen zu finden. Der Vorstoß ist sowohl bei Studierenden als auch bei Juristinnen und Juristen auf großes Unverständnis gestoßen. Der Bundesvorstand und der Landesverband Baden-Württemberg der NRV haben sich nun dem Protest des "Arbeitskreises kritischer Jurist*innen (akj) Freiburg" und den "Kritischen Jurist*innen Heidelberg" angeschlossen und sich vehement gegen die geplante Streichung ausgesprochen.

NRV übt scharfe Kritik am bestehenden Prüfungssystem

Obschon bereits alternative Prüfungsformen – digital und mit Hilfsmitteln – diskutiert würden, hielten die Prüfungsämter am bestehenden Prüfungssystem fest, das weder als Abschluss eines wissenschaftlichen Hochschulstudiums noch gemessen an realen Praxisanforderungen überzeuge, so die NRV. Prüfungsgegenstand sei damit vor allem die physische und psychische Belastbarkeit der Kandidatinnen und Kandidaten, nicht ihre Eignung für juristische Berufe. Schon heute herrsche im juristischen Berufsalltag eine ungesunde Konformität und Fokussierung auf Individualleistung, Leistungsdenken und Selbstausbeutung. Die Staatsexamina seien Teil eines Selektionsverfahrens, das dazu führe, dass Menschen mit Begabungen wie Empathie, Solidarität und Teamfähigkeit es seltener in das juristische Berufsleben schaffen.

Erhöhung des Prüfungsdrucks durch Verkürzung der Prüfungszeit "aberwitzig"

Die zeitliche Belastung in den Klausurenwochen benachteilige schon jetzt jene, die durch Care- und Familienarbeit oder die Notwendigkeit zur studienbegleitenden Erwerbstätigkeit weniger psychische und zeitliche Ressourcen haben. All das gehe schon heute zu Lasten einer vielfältigen und menschlichen Justiz. Durch die Streichung der Ruhetage werde diese Fehlentwicklung und der Selektionsdruck in Richtung einer hohen Belastbarkeit weiter verschärft. Eine Verkürzung der Prüfungszeit und eine Erhöhung des Prüfungsdrucks, um Schwierigkeiten bei der Akquise und Bewirtschaftung der Prüfungsräume zu begegnen, sei aberwitzig. Das schon jetzt katastrophale Prüfungssystem werde damit aus bloßen Fiskalinteressen zu Lasten der Studierenden weiter verschärft.

Redaktion beck-aktuell, Miriam Montag, 20. Januar 2023.