Nordrhein-Westfalen hat kinderreichen Richtern zu wenig gezahlt
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Die nordrhein-westfälische Besoldung kinderreicher Richter und Staatsanwälte der Besoldungsgruppe R 2 in den Jahren 2013 bis 2015 war verfassungswidrig zu niedrig bemessen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht am 04.05.2020 entschieden. Die ihnen ab dem dritten Kind gewährten Zuschläge müssten ihr Nettoeinkommen so erhöhen, dass ihnen für jedes dieser Kinder mindestens 115% des grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarfs nach dem SGB II zur Verfügung steht. Der Landesgesetzgeber muss nun bis Ende Juli 2021 eine dem Alimentationsprinzip genügende Regelung treffen.

Kinderreiche Richter rügten Besoldung als zu niedrig

Zwei Richter in Nordrhein-Westfalen mit Dienstbezügen der Besoldungsgruppe R 2 hatten gegen ihre Besoldung geklagt. Beide sind jeweils verheiratet und haben Kinder. Der eine erhielt 2013 für drei Kinder Kindergeld, der andere 2014 und 2015 für vier Kinder. Sie machten geltend, dass ihre Besoldung im Hinblick auf ihre Kinderzahl verfassungswidrig zu niedrig bemessen sei. Das Verwaltungsgericht Köln setzte die Verfahren aus und rief das BVerfG an.

BVerfG: Anzahl der Kinder bei Besoldung zu berücksichtigen

Das BVerfG hat die Richterbesoldung in Nordrhein-Westfalen teilweise für unvereinbar mit dem Alimentationsprinzip (Art. 33 Abs. 5 GG) erachtet. Die Besoldung von Richtern und Staatsanwälten der Gruppe R 2 mit drei Kindern im Jahr 2013 und mit vier Kindern in den Jahren 2014 und 2015 sei nicht amtsangemessen gewesen. Sie sei hinter den Anforderungen an die Alimentation kinderreicher Richter und Beamter zurückblieben. Das Alimentationsprinzip verpflichte den Dienstherrn, Richter und Beamte sowie ihre Familien lebenslang angemessen zu alimentieren. Der Besoldungsgesetzgeber müsse die Besoldung so regeln, dass Richter und Beamte nicht vor die Wahl gestellt werden, entweder eine ihrem Amt angemessene Lebensführung aufrechtzuerhalten oder, unter Verzicht darauf, eine Familie zu haben und diese entsprechend den damit übernommenen Verpflichtungen angemessen zu unterhalten. Deshalb müsse die Zahl der Kinder bei der Regelung einer amtsangemessenen Besoldung berücksichtigt werden.

Rückgriff auf familienneutrale Gehaltsbestandteile unzumutbar

Das BVerfG gehe aufgrund der bisherigen Praxis des Besoldungsgesetzgebers davon aus, dass er die Grundbesoldung so bemisst, dass sie zusammen mit den Familienzuschlägen für den Ehepartner und die ersten beiden Kinder für eine Zwei-Kinder-Familie amtsangemessen ist. Der Gesetzgeber überschreite den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum aber dann, wenn er den Richtern und Beamten zumutet, für den Unterhalt ihres dritten Kindes und weiterer Kinder auf die familienneutralen Bestandteile ihres Gehalts zurückzugreifen, um den Bedarf ihrer Kinder zu decken. Der zusätzliche Bedarf, der für das dritte und die weiteren Kinder entstehe, sei vom Dienstherrn zu decken.

Mindestalimentation in Höhe des Grundsicherungsniveaus plus 15%

Bei der Bemessung dieses Bedarfs könne der Gesetzgeber von den Leistungen der sozialen Grundsicherung ausgehen. Dabei müsse er aber beachten, dass die Alimentation etwas qualitativ Anderes als die Befriedigung eines äußersten Mindestbedarfs ist. Ein um 15% über dem realitätsgerecht ermittelten grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarf eines Kindes liegender Betrag lasse den verfassungsgebotenen Unterschied hinreichend deutlich werden. Das zur Bestimmung der Mindestalimentation herangezogene Grundsicherungsniveau umfasse alle Elemente des Lebensstandards, der den Empfängern von Grundsicherungsleistungen staatlicherseits gewährt werde, also insbesondere den monatlichen Regelsatz, die anteiligen Kosten für die Unterkunft und Heizung sowie den Bedarf für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft.

Unterschiedliche Wege zu Gewährleistung der Amtsangemessenheit möglich

Ob die Dienstbezüge noch amtsangemessen seien, beurteile sich nach dem Nettoeinkommen. Daher stehe es dem Gesetzgeber frei, das von der Verfassung vorgegebene Ziel durch eine entsprechende Bemessung der Bruttobezüge – etwa in Gestalt eines kinderbezogenen Familienzuschlags – zu erreichen, die Richter und Beamten an einem allgemein gewährten Kindergeld teilhaben zu lassen, durch allgemeine steuerrechtliche Vorschriften die durch den Kindesunterhalt verminderte Leistungsfähigkeit auszugleichen oder diese und weitere Möglichkeiten miteinander zu verbinden.

15%-Mindestabstand zu Grundsicherung hier nicht eingehalten

Laut BVerfG werden die vorgelegten Besoldungsvorschriften diesen Maßstäben nicht gerecht. Vergleichsberechnungen zeigten, dass die Besoldung der Richter und Staatsanwälte der Besoldungsgruppe R 2 in Bezug auf das dritte Kind im Jahr 2013 und in Bezug auf das dritte und vierte Kind in den Jahren 2014 und 2015 den verfassungsgebotenen Mindestabstand von 15% zur Grundsicherung nicht eingehalten hat. Es sei nicht einmal der grundsicherungsrechtliche Gesamtbedarf für ein Kind durch die bei steigender Kinderzahl gewährten Nettomehrbeträge ausgeglichen.

Rückwirkende Anpassung bei noch offenen Verfahren

Den Gesetzgeber treffe die Verpflichtung, verfassungsgemäße Regelungen zu schaffen. Eine allgemeine rückwirkende Behebung des Verfassungsverstoßes sei mit Blick auf die Besonderheiten des Richter- und Beamtenverhältnisses nicht geboten. Eine rückwirkende Behebung sei jedoch sowohl hinsichtlich der Kläger der Ausgangsverfahren als auch hinsichtlich etwaiger weiterer Richter und Staatsanwälte erforderlich, über deren Anspruch noch nicht abschließend entschieden worden sei.

BVerfG, Beschluss vom 04.05.2020 - 2 BvL 6/17

Redaktion beck-aktuell, 29. Juli 2020.