Zankapfel Nord Stream 2
Die Leitung des russischen Staatskonzerns Gazprom durch die Ostsee von Russland nach Deutschland entzweit seit Jahren nicht nur Europa. Auch US-Präsident Donald Trump zieht alle Register und droht mit Sanktionen gegen Beteiligte an dem Milliardenprojekt. Trotzdem wurde seit dem Sommer 2018 bereits rund ein Drittel der 1.200 Kilometer langen Pipeline gebaut. Ende 2019 soll sie fertig sein.
Zu starke Abhängigkeit von russischem Erdgas kritisiert
Die Leitung soll künftig jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland nach Deutschland transportieren – noch einmal so viel wie die seit Jahren betriebene Schwesterpipeline Nord Stream. Kritiker monieren, Europa mache sich noch abhängiger von russischem Erdgas. Die Ukraine fürchtet zudem, als Transitland ausgebremst zu werden und milliardenschwere Durchleitungsgebühren einzubüßen.
Deutsche Blockadehaltung gegen Reglementierung erst nach Druck aus Paris aufgegeben
Weil auch Polen und die baltischen Staaten das Projekt vehement ablehnen, versuchte die EU-Kommission seit Jahren, Nord Stream 2 zu reglementieren. Die Bundesregierung blockierte das mit Mitstreitern im Rat der EU-Länder, bis sie vorige Woche nach Druck aus Paris
beidrehen musste.
Geplante Regelungen: Trennung von Erdgas-Produktion und Pipeline-Betrieb
Die EU-Kommission ist nun nach eigener Darstellung am Ziel: Erstmals gelten künftig EU-Energieregeln auch für Pipelines, die aus anderen Staaten in die EU führen. Demnach darf zum Beispiel die Produktion von Erdgas und der Betrieb der Pipeline nicht in einer Hand liegen – anders als bei Gazprom. Ein Betreiber muss Konkurrenten die Nutzung der Leitung gegen Gebühr erlauben. Die Regeln sollen den Wettbewerb ankurbeln und Monopolpreise vermeiden. "Das ist ein großer Fortschritt hin zu einem integrierten Gas-Binnenmarkt", kommentierte EU-Kommissar Miguel Arias Cañete die in der Nacht zum 13.02.2019 erzielte Einigung.
Deutschland soll über Ausnahmen entscheiden dürfen
Im Umkehrschluss können solche Auflagen Profite schmälern und Betreibern das Leben so schwer machen, dass Projekte wie Nord Stream 2 theoretisch unrentabel werden könnten. Das hat die Bundesregierung wohl erfolgreich verhindert: Der Kompromiss der EU-Unterhändler sieht Ausnahmen und Sonderregeln vor, die die Folgen abmildern dürften. Vereinbart ist nach Angaben des Europaparlaments, dass die neuen Regeln nur auf EU-Territorium gelten beziehungsweise in EU-Gewässern – nicht schon am Ausgangspunkt der Pipeline, also Russland. Deutschland darf im Fall von Nord Stream 2 mit Russland über Ausnahmen "auf Grundlage der EU-Regeln" sprechen und darüber entscheiden, wie aus einer Mitteilung des Europaparlaments hervorgeht. Allerdings heißt es dort auch: "Die Kommission wird die verbindliche Entscheidung darüber treffen, die Ausnahme zu gewähren."
Auswirkungen der Sonderregelungen völlig unklar
Wie sich diese Regelungen genau auswirken, trauten sich aber auch Beteiligte am 13.02.2019 noch nicht zu bewerten. Die Einigung sei sehr frisch, sagte ein Sprecher der EU-Kommission. Man müsse zunächst die fertigen Texte genau prüfen, sagte die SPD-Europaabgeordnete Martina Werner der Deutschen Presse-Agentur. Die formale Zustimmung des EU-Rats und des Europaparlaments steht auch noch aus. Die an den Verhandlungen beteiligte Grünen-Expertin Rebecca Harms erläuterte, letztlich müsste ein Streit zwischen Brüssel und Berlin
vor dem Europäischen Gerichtshof entschieden werden. Solange würden Ausnahmen von den EU-Regeln nicht gelten.
Befürworter sprechen von Erfolg, Gegner von Dämpfer
Es handelt sich also wohl um den klassischen Kompromiss – einerseits, andererseits. Die Befürworter von Nord Stream 2 begrüßten am 13.02.2019, dass das Projekt weitergehen kann. "Die ganze Härte ist vermieden worden", sagte die Sozialdemokratin Werner. Der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer sah indes einen Dämpfer für das Vorhaben: "Berlin konnte sich mit seinem energiepolitischen Alleingang nicht durchsetzen und Nord Stream 2 am europäischen Energierecht vorbei durchboxen."