Nichtvernehmen von Zeugen verletzt rechtliches Gehör

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat den Grundsatz bekräftigt, dass bei zulässigem Rechtsmittel nicht beschiedene Beweisangebote erster Instanz ein Teil des Verfahrens bleiben. Die Richter erläuterten, dass übergangene Beweisangebote auch ohne ausdrückliche Rüge in der Berufungsbegründung beachtet werden müssten.

Rüge nicht notwendig – Wiederholung schon

Entgegen diesem Grundsatz war das Oberlandesgericht München in einer Prospekthaftungssache verfahren. Der Kläger hatte in der ersten Instanz bereits die Vernehmung von zwei Zeugen beantragt. Darüber hatte das Landgericht nicht entschieden und die Klage dann abgewiesen. Das OLG sah den – nach Ablauf der Begründungsfrist – wiederholten Antrag als verspätet an. Aus Sicht des Berufungsgerichts hätte der Kläger die Nichtbeachtung des Antrags rügen müssen.

BGH: Berufungsgericht hat Prüfungspflicht verletzt

Der Senat konnte dieser Sichtweise nichts abgewinnen. "Offenkundig fehlerhaft" sei die Ablehnung der Zeugeneinvernahme durch das OLG. Eine ansonsten zulässige Berufung führe zur automatischen Übertragung des gesamten Prozessstoffes in die zweite Instanz. Hier habe jedenfalls eine Rüge den Anforderungen entsprochen. Damit sei die Berufung zulässig gewesen und das OLG habe sich auch ohne ausdrücklichen Hinweis mit dem nicht abgearbeiteten  Beweisantrag beschäftigen müssen. Da der Kläger seinen Antrag auch noch in der zweiten Instanz wiederholt hatte, sahen die Richter sein rechtliches Gehör als verletzt an und verwiesen zurück.

BGH, Beschluss vom 28.04.2020 - VI ZR 347/19

Redaktion beck-aktuell, 8. Juni 2020.