Nun ist es heraus: Am 23. Februar 2025 soll der Bundestag neu gewählt werden. Die Spitzen von Union und Ex-Ampel-Parteien haben sich darauf geeinigt, so heißt es.
Damit eilt die politische Einigung dem grundgesetzlichen Verfahren voraus, denn Art. 68 GG sieht zunächst vier verfassungsrechtlich notwendige Schritte vor, von denen keiner rechtlich determiniert ist: Als erstes stellt der Kanzler dem Bundestag die Vertrauensfrage, was nun am 11. Dezember* geschehen soll. Entscheidet sich das Parlament – wie zu erwarten – nicht dafür, dem Kanzler mit der Mehrheit seiner Mitglieder das Vertrauen auszusprechen, kann dieser nach seinem Ermessen den Bundespräsidenten ersuchen, den Bundestag aufzulösen.
Der Bundespräsident kann dem Ersuchen stattgeben. Es liegt zwar in seinem politischen Ermessen, dies nicht zu tun. Die Verkündung des 23. Februar als Wahltermin deutet aber darauf hin, dass die Führungsleute der beteiligten Parteien einigermaßen sichere Absprachen mit dem Bundeskanzler, den Spitzen der Bundestagsfraktionen und dem Bundespräsidenten getroffen haben.
Kurze Fristen, viele Aufgaben
Stellt Olaf Scholz am 11. Dezember* 2024 tatsächlich die Vertrauensfrage, so muss der Bundestag mindestens 48 Stunden, also bis zu einem entsprechenden Zeitpunkt am 13. Dezember warten, bevor er über den Antrag abstimmt, Art. 68 Abs. 2 GG. Stand heute ist die Abstimmung für den 16. Dezember geplant*. Wird dieser wie erwartet abgelehnt, beginnt eine einundzwanzigtägige Frist zu laufen, innerhalb derer der Bundeskanzler um die Auflösung des Parlaments ersuchen und der Bundespräsident über diesen Antrag des Kanzlers entscheiden muss, Art. 68 Abs. 1 S. 1 2. HS GG.
Sobald der Bundestag aufgelöst ist, läuft gemäß Art. 39 Abs. 1 S. 4 GG eine Frist von 60 Tagen an, innerhalb derer die Neuwahl des Bundestages stattfinden muss. Den konkreten Wahltag, der ein Sonntag oder gesetzlicher Feiertag sein muss, bestimmt der Bundespräsident, § 16 BWahlG. Zählt man vom 23. Februar 2025 aus 60 Tage zurück, kommt man auf den 25. Dezember 2024. Frühestens an diesem Tag kann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier also den Bundestag auflösen, falls der angekündigte Wahltermin eingehalten werden soll. So weit die Vorgaben des Gesetzes, die Umsetzung ist ambitioniert.
Bundeswahlleiterin Ruth Brand hatte zunächst eine Reihe von Bedenken gegenüber einem zuvor diskutierten, früheren Wahltermin noch im Januar geäußert und auf verschiedene Probleme hingewiesen: So müssten die Wahlausschüsse auf Kreis- und Landesebene eingerichtet und Wahlhelfer berufen und geschult werden, weiterhin seien geeignete Wahlräume zu organisieren und müsse die notwendige EDV-Infrastruktur gegen die "zunehmenden hybriden Bedrohungen" gesichert werden. Die Sorge der Bundeswahlleiterin, es könne schwierig werden, das für die Wahlunterlagen notwendige Papier rechtzeitig zu beschaffen, scheint dagegen ausgeräumt.
Herkulesaufgabe für Kleinstparteien
Außer für die Sorgen der Wahlorgane zeigte die Bundeswahlleiterin auch Verständnis für die Nöte der politischen Parteien. So könne es dazu kommen, dass Versammlungen für die Aufstellung von Kandidaten nicht mehr ordnungsgemäß durchgeführt werden könnten, insbesondere da auch Ladungsfristen zu beachten seien. Von besonderen Schwierigkeiten seien die sogenannten nicht etablierten Parteien betroffen, also diejenigen, die unter die Norm des § 18 Abs. 2 BWahlG fallen, weil sie nicht mit mindestens fünf Abgeordneten im Bundestag oder in einem Landtag durchgehend seit der letzten jeweiligen Wahl vertreten sind.
Damit trifft die Bundeswahlleiterin einen wichtigen Punkt. Diese Parteien müssen, um überhaupt in einem Land zur Bundestagswahl zugelassen zu werden, nach der Aufstellung ihrer Kandidaten je nach Größe des Bundeslands bis zu 2.000 Unterstützungsunterschriften in handschriftlicher Form auf Papier sammeln, § 27 Abs. 1 S. 2 BWahlG. Für einen bundesweiten Wahlantritt werden so allein für die Landeslisten mehr als 27.000 Unterschriften wahlberechtigter Bürger nötig, von denen jeder nur für eine Partei eine Unterschrift abgeben kann. Zudem sind für jeden der 299 Wahlkreise, in denen eine "nicht etablierte Partei" antreten will, zusätzlich 200 Unterstützungsunterschriften zu sammeln.
Anschließend müssen alle Unterschriften von den für die jeweiligen Unterzeichner zuständigen Gemeindebehörden daraufhin geprüft werden, ob überhaupt eine Wahlberechtigung zum Bundestag besteht und ob der Unterzeichner nicht auch für eine andere Partei unterschrieben hat, was beide Unterschriften ungültig machen würde. Dies alles ist angesichts der Kürze der Zeit, der kalten Witterung sowie der Feiertage und Ferien tatsächlich eine Herkulesaufgabe, für die kontrollierenden Behörden wie vor allem auch für die kleinen Parteien selbst.
Kein Rechtsschutz vor dem BVerfG
Einige von deren Vertretern forderten nach Informationen des Spiegel noch am Dienstag in einem offenen Brief an Innenministerin Nancy Faeser, Bundeskanzler Olaf Scholz und die Mitglieder des Bundestags, die Hürden für eine Wahl zu senken, und prüfen einen Gang zum BVerfG. Das dürfte allerdings schwierig werden, und das ganz unabhängig von einer sachlichen Berechtigung ihres Anliegens.
Das BVerfG hat es in der ähnlichen Situation von 2005 abgelehnt, einzugreifen (Urteil vom 23.08.2005 – 2 BvE 5/05), da die entsprechenden Anträge verfristet seien: Ein Organstreitverfahren muss innerhalb von sechs Monaten gestellt werden, nachdem die beanstandete Maßnahme bekannt geworden ist, § 64 Abs. 3 BVerfGG. Die beanstandete Maßnahme wäre laut dem BVerfG in seinem Urteil aus 2005 die Norm des § 27 Abs. 1 S. 2 BWahlG, die die Parteien dazu verpflichtet, auch dann eine bestimmte Zahl nach Unterstützungsunterschriften beizufügen, wenn der Bundestag nach verlorener Vertrauensfrage aufgelöst wurde. Diese Norm sei seit den sechziger Jahren in Kraft, die Sechs-Monats-Frist für eine Organklage damit nicht einhaltbar, so die Karlsruher Richter damals.
Andere Rechtsmittel stehen den Parteien vor der Wahl nicht zur Verfügung. In einem erst nach der Wahl statthaften Wahlprüfungsverfahren könnte das BVerfG die Verfassungswidrigkeit wahlrechtlicher Vorschriften feststellen, soweit dadurch ein Wahlfehler begründet wird. Angesichts dessen, dass das BVerfG die geltenden Unterschriftenquoren sogar unter den besonders erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie aufrechterhalten hat (Beschluss vom 13.04.2021 – 2 BvE 1/21 u.a.), sind die Erfolgsaussichten aber auch hier wohl gering.
Und die Bundeswahlleiterin?
Die Kritik, die Bundeswahlleiterin Brand für ihre Warnung erfahren hat, scheint daher insgesamt nicht gerechtfertigt. Ob es eine politische Einflussnahme oder einen solchen Versuch gegeben hat, lässt sich gegenwärtig weder beweisen noch widerlegen. Auch wenn der Bundeswahlleiter – traditionell der jeweilige Präsident des Statistischen Bundesamtes – vom Bundesinnenminister ernannt wird, § 9 Abs. 1 BWahlG, unterliegen die Wahlorgane insgesamt keiner Weisungsbefugnis, was aus § 10 Abs. 2 S. 1 BWahlG abgeleitet wird.
Jedenfalls gehört es zu den Pflichten einer Bundeswahlleiterin, die ordnungsgemäße Vorbereitung der Wahl zu überwachen und zu koordinieren. Ruth Brand, die am Dienstag gegenüber dem Wahlausschuss des Bundestags betonte, bei ihrer schriftlichen Warnung vor "unwägbaren Risiken" eines zu frühen Wahltermins lediglich praktische Probleme gemeint zu haben, hätte daher pflichtwidrig gehandelt, wenn sie nicht auf absehbare organisatorische Probleme hingewiesen hätte, die nach ihrer Einschätzung mit der Entscheidung für einen frühen Wahltermin einhergehen können.
Schulferien und andere praktische Bedenken
Praktische Bedenken können bei der Entscheidung für einen Wahltermin durchaus berücksichtigt werden. So hat insbesondere der Bundespräsident innerhalb des verfassungsrechtlichen Fristenrahmens ein Ermessen bei der Festsetzung des Wahltages und kann allgemeine Urlaubszeiten oder überregionale Großereignisse berücksichtigen. So fallen Wahlen üblicherweise nicht in die Schulferien. Aktuell ließ sich das offenbar nicht verhindern, Sachsen und das Saarland haben am 23. Februar frei. Auch der Bundeskanzler oder der Bundestag können praktische Gesichtspunkte miteinbeziehen, wenn sie den Zeitpunkt bestimmen, zu dem sie durch ihre Handlungen wahlrechtliche Fristen in Gang setzen.
Zudem könnte das Bundesinnenministerium nach § 52 Abs. 3 BWahlG bei einer Auflösung des Bundestages und der damit in Gang gesetzten 60-Tage-Frist nach Art. 39 Abs. 1 S. 4 GG durch Rechtsverordnung die übrigen im Bundeswahlgesetz und der Bundeswahlordnung bestimmten Fristen und Termine abkürzen, um die gesamte Wahlvorbereitung innerhalb kürzerer Zeit zu bewältigen. Von dieser Befugnis wurde 2005 anlässlich der damaligen Auflösung des Bundestags Gebrauch gemacht.
Auf die für "nicht etablierte" Parteien geltenden Unterstützungsunterschriftenquoren bezieht die Befugnis des BMI sich aber nicht. Den kleinen Parteien könnte, wenn nicht das möglicherweise angerufene BVerfG seine Rechtsprechung ändert, nur noch der Gesetzgeber helfen, wegen dessen Handlungsunfähigkeit die Neuwahlen aber erst nötig werden. Parteien und Wähler müssen sich auf einen kurzen, intensiven Wahlkampf bei kalter Witterung einstellen.
Der Autor Dr. Sebastian Roßner arbeitet als Rechtsanwalt in der Kanzlei LLR Rechtsanwälte in Köln. Einer seiner Beratungsschwerpunkte ist das Staats- und Verfassungsrecht.
*Anm. d. Red.: Hier war zunächst versehentlich ein falsches Datum für die Vertrauensfrage genannt. Das und eine kleine Folgeänderung wurden vorgenommen am 14.11.2024, 16:52 Uhr (pl).