Neues vom BGH zum Beweisantrag

Ein Beweisantrag muss sich nicht mit früheren gegenläufigen Beweisergebnissen auseinandersetzen, um darzulegen, dass er plausibel ist. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs gibt vor dem Hintergrund der Strafverfahrensänderung von 2019 seine bisherige Rechtsprechung auf. Entscheidungen anderer Senate stünden dem aufgrund der Neuregelung des Beweisantragsrechts nicht entgegen.

Kein Beweisantrag?

In einem Prozess wegen der Schüsse auf einen Mitarbeiter eines Berliner Finanzdienstleisters wollte ein der Beihilfe verdächtiger Mitangeklagter durch Vernehmung eines Zeugen beweisen, dass das Opfer und der Schütze vor der Tat unabhängig von ihm Kontakt hatten: In einem Telefonat mit dem Zeugen habe der Geschädigte von einer Bedrohung durch den Täter berichtet. Ein lohnendes Ziel - in seinem späteren Urteil stellte das Landgericht Berlin fest, dass eine Verbindung von Schütze zu Opfer nur über den - unter anderem deswegen - wegen Beihilfe verurteilten Mann bestanden habe. Zu dieser Erkenntnis war das Gericht ohne Vernehmung des Zeugen gekommen. Ein zulässiger Beweisantrag habe nicht vorgelegen: Der Zeuge habe gegenüber einem bereits vernommenen Polizeibeamten schon erklärt, dass er nicht mit dem Verletzten, sondern einer anderen Person über eine möglicherweise vom Täter stammende Drohung gesprochen habe. Der Antrag lege nicht plausibel dar, warum seine Vernehmung nun zu einem anderen Ergebnis führen solle. Die unterlassene Beweiserhebung führte zum Erfolg der Verfahrensrüge.

Gegen die "qualifizierte" Konnexität

Der 5. Strafsenat nutzte den Fall zur Änderung seiner Rechtsprechung. Er habe bisher - wie hier auch das LG - vertreten, dass ein Beweisantrag bei fortgeschrittener Beweisaufnahme und Widerspruch zu bisherigen Ergebnissen aufzeigen müsse, warum mit neuen Erkenntnissen zu rechnen sei. Nach Ansicht der Leipziger Richter kann aufgrund der Neufassung des § 244 Abs. 3 StPO durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafrechts vom 10.12.2019 (BGBl. 2019 I 2121) an dieser Rechtsprechung nicht mehr festgehalten werden. Der Gesetzgeber habe die Frage der erforderlichen Konnexität, also der Verbindung des Beweismittels zu der zu beweisenden Tatsache, bewusst auf die Darlegung eines - häufig - simplen Zusammenhangs zurückgeschnitten. Hier liege die Verbindung bei einem vom Zeugen selbst geführten Telefonat auf der Hand. Für eine auf Plausibilitätserwägungen gestützte erweiterte oder qualifizierte Konnexität als Voraussetzung eines Beweisantrags bleibe grundsätzlich kein Raum mehr. Vielmehr sei die Beweisaufnahme unzulässig vorweggenommen worden.

Divergenz?

Eine Abweichung von Entscheidungen anderer Senate sah der 5. Strafsenat hierin nicht: Durch die Gesetzesänderung bestehe keine Bindung gemäß § 132 Abs. 2 GVG an ihre früheren Entscheidungen. Ein neuerer Beschluss des 4. Senats (BeckRS 2020, 6538) stehe dem nicht entgegen.

BGH, Beschluss vom 01.09.2021 - 5 StR 188/21

Redaktion beck-aktuell; Michael Dollmann, Mitglied der NJW- und beck-aktuell-Redaktion, 6. Oktober 2021.