Neuer Streit um Hartz IV – CDU lehnt Pläne von Arbeitsminister Heil ab
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Mehr als 15 Jahre nach Inkrafttreten der Hartz-IV-Reform hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit neuen Reformplänen eine Debatte um die Zukunft der Sozialleistung angestoßen. Heil will die Regeln für Langzeitarbeitslose mit einem Gesetz entschärfen. Dabei stieß er am 10.01.2021 auf Widerspruch beim Koalitionspartner CDU. Somit wird es wahrscheinlich, dass sich die Parteien mit dem Thema im Bundestagswahlkampf beschäftigen werden.

Heil will vereinfachten Zugang zu Hartz IV "verstetigen"

Heil will, dass den Beziehern der Grundsicherung künftig keine außergewöhnlichen Härten mehr durch Sanktionen bei Pflichtverletzungen drohen. Ein bereits als Reaktion auf die Corona-Pandemie eingeführter vereinfachter Zugang zur Grundsicherung für Arbeitsuchende soll zudem "verstetigt" werden, wie es in dem der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegenden Gesetzentwurf heißt. Im "Spiegel" hatte Heil angekündigt: "Die Grundsicherung soll ein soziales Bürgergeld werden, für das sich niemand schämen muss, der es braucht."

CDU gegen Entfristung der Corona-Sonderregelungen

Der CDU-Sozialexperte Peter Weiß sagte am 10.01.2021 der dpa hingegen, die Union sei zwar gesprächsbereit und man könne die coronabedingten Sonderregelungen verlängern, wenn es nötig sei. "Wir stehen aber weiterhin zu dem Grundsatz `Fördern und Fordern` und lehnen auch eine Entfristung dieser Sonderregelungen ab." Weiß betonte: "Eine schleichende Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist mit uns nicht möglich. Denn dadurch wird Arbeit abgewertet und die Vermittlung in Arbeit weitgehend unattraktiver."

FDP und Linke mit unterschiedlicher Kritik

Ähnlich argumentierte die FDP. "Der Verzicht auf Sanktionen und die Erhöhung der Leistungen sind die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens durch die Hintertür", sagte ihr Sozialexperte Pascal Kober der dpa. Das Modell eines bedingungsloses Grundeinkommens sieht vor, dass jeder Bürger staatliche Unterstützung bekommt. Dies ist im Heil-Entwurf nicht vorgesehen. Die Kritiker argumentieren aber, Heils Pläne seien eine so weitgehende Abkehr von der Grundsicherung heute, dass dies in Richtung eines solchen Grundeinkommens gehen würde. Linken-Chefin Katja Kipping begrüßte die Pläne dagegen. Sie halte den Reformansatz für überfällig, sagte sie den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft (11.01.2021). Doch gehen ihr die Pläne nicht weit genug. Das sei "noch lange nicht der notwendige Kurswechsel hin zu einem garantierten Schutz vor Armut".

BVerfG hatte 2019 die Sanktionen begrenzt

Die Sanktionspraxis der Jobcenter hatte das Bundesverfassungsgericht bereits im November 2019 nach jahrelanger Kritik stark eingeschränkt. Nach dem Prinzip "Fördern und Fordern" hatten die Jobcenter seit 2005 unkooperative Hartz-IV-Empfänger diszipliniert, indem sie ihnen den Geldhahn zudrehten. Das Verfassungsgericht entschied am 05.11.2019, dass monatelange Minderungen um 60% oder mehr mit dem Grundgesetz unvereinbar sind (NJW 2019, 3703). Die Jobcenter dürfen die monatlichen Leistungen aber weiter um bis zu 30% kürzen, wenn Hartz-IV-Empfänger ihren Pflichten nicht nachkommen. Seit dem Urteil wurde die alte Sanktionspraxis bereits durch Weisungen des Arbeitsministeriums und der Bundesagentur entschärft. Durch die Corona-Pandemie gab es zudem ohnehin immer weniger Sanktionen.

Heil will weniger Sanktionen

Nun will Heil dauerhaft gesetzlich regeln, dass monatliche Minderungen 30% des Regelbedarfs nicht überschreiten. Dies soll laut dem Entwurf gelten, wenn Leistungsberechtigte ohne wichtigen Grund wiederholt ihre Pflichten verletzt oder persönliche Meldetermine nicht wahrgenommen haben. Bei jeder Leistungsminderung soll geprüft werden, ob sie im Einzelfall eine außergewöhnliche Härte darstellt. Viel gestritten wurde über Jahre über schärfere Sonderregelungen für Unter-25-Jährige – diese sollen nach Heils Plänen nun dauerhaft entfallen. Für einen erleichterten Zugang zur Grundsicherung in der Corona-Krise ist derzeit eine Prüfung der Jobcenter zu Wohnung und Vermögen ausgesetzt – nämlich wie groß die Wohnung der Betroffenen ist und ob diese größere Ersparnisse haben. Während einer Karenzzeit von zwei Jahren sollen nun dem Entwurf zufolge Vermögen bis zu der genannten Summe geschützt und Mietkosten nicht auf ihre Angemessenheit geprüft werden.

Vorübergehend Hilfebedürftige sollen Erspartes behalten dürfen

Aus Heils Ministerium hieß es dazu: "Wir wollen einen Sozialstaat auf Augenhöhe, der mehr Sicherheit bietet und neues Vertrauen schafft." So sollten jene, die vorübergehend auf Arbeitssuche sind und durch die Grundsicherung aufgefangen werden, darauf vertrauen können, sich vorerst nicht um das Ersparte und die Wohnsituation sorgen zu müssen. Bereits auf ihrem Parteitag im Dezember 2019 hatten die Sozialdemokraten die Forderung beschlossen, mit einer Abkehr von Hartz IV die Agenda 2010 ihres früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder in zentralen Punkten zu überwinden. Die SPD-Vorschläge dazu waren noch weit über die nun geplante Hartz-Reform hinausgegangen.

Gewerkschaften begeistert: DGB spricht von "sozialpolitischem Meilenstein"

Begeistert reagierten bereits die Gewerkschaften auf Heils Pläne. DGB-Chef Reiner Hoffmann sagte der dpa: "Das ist ein sozialpolitischer Meilenstein." Damit könne der jahrelang schwelende Konflikt um das Hartz-IV-System, das von vielen als diskriminierend erlebt werde, entschärft werden. "Jetzt ist es an der Unionsfraktion, diese Reformpläne konstruktiv zu unterstützen." Die Hartz-Reformen waren zwischen 2003 und 2005 von der rot-grünen Bundesregierung unter Schröder eingeführt worden.

Redaktion beck-aktuell, 11. Januar 2021 (dpa).