Erweiterung der Arbeits- und Verkürzung der Ruhezeiten "nachgerade zynisch"
Die Regelung erlaube die Verlängerung der Arbeitszeit an Werktagen sowie eine entsprechende Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen auf jeweils 12 Stunden und eine Wochenarbeitszeit auf 60 (und mehr) Stunden (§ 1 Abs. 1 und Abs. 3, § 3 VO) sowie eine Verkürzung der Ruhezeit zwischen zwei Schichten von elf auf neun Stunden (§ 2 VO). Die von der Verordnung betroffenen Arbeitnehmergruppen würden weitgehend dem Niedriglohnsektor zugerechnet und seien in der aktuellen Situation unbestritten besonders gefordert und belastet, betonte die NRV. Bei diesen Beschäftigten die rechtlich zulässigen Grenzen der Tages- und Wochenarbeitszeit, sowohl an Werktagen als auch an Sonn- und Feiertagen, deutlich zu erhöhen und gleichzeitig die Mindestruhezeiten ebenso deutlich zu verkürzen, müsse nachgerade zynisch wirken. Politische Forderungen von Arbeitgeberkreisen aus jüngerer Zeit würden im Ergebnis weitestgehend umgesetzt.
Verstoß gegen Ermächtigungsgrundlage
Überdies verstoße die COVID-19-ArbZV insoweit gegen die Ermächtigungsgrundlage in § 14 Abs. 4 ArbZG, als dort als Voraussetzung für den Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung tatbestandlich festgehalten sei, dass die in der VO zu regelnden Ausnahmen vom ArbZG über die bereits "in Tarifverträgen vorgesehenen Ausnahmen hinausgehen" (Satz 1 aE). In den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes (TVöD, TV-L, ebenso in den Tarifverträgen für die Ärzte sowie in den Manteltarifverträgen für die Privatkliniken usw. und in den bei den kirchlichen Rechtsträgern idR geltenden Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbandes bzw. der Diakonie) würden jedoch bereits seit langem, und vor allem für die von der COVID-19-ArbZV besonders betroffenen Beschäftigtengruppen (Pflegekräfte, Ärzte), die von den sehr weitreichenden Tariföffnungsklauseln in den §§ 7 und 12 ArbZG enthaltenen Abweichungsoptionen vom ArbZG ebenfalls sehr weitreichend umgesetzt: Etwa § 6 Abs. 4 TVöD/TV-L, § 7.1 Abs. 2 bis Abs. 4 und Abs. 8 Satz 2 TVöD-K, ebenso die komplementären Regelungen in § 41, § 42 und § 43 jeweils Nr. 3 Abs. 4, Nr. 4 TV-L sowie in den TV-Ärzte (Länder) und TV Ärzte (VKA) und den AVR usw. Diese bestehenden Tarifvorschriften würden bereits jetzt vor allem Arbeitszeitverlängerungen potentiell deutlich über die in der COVID-19-ArbZV enthaltenen hinaus erlauben. Insoweit hätte es somit der neuen VO nicht bedurft. Nach Ansicht der NRV hätte diese nicht einmal erlassen werden dürfen.
Richter kritisieren gesetzgeberischen Schnellschuss
Soweit die exemplarisch genannten Tarifabweichungsmöglichkeiten durch die betriebliche Mitbestimmung umgesetzt werden müssten sei ebendies auch bei einer Umsetzung der Regelungen der COVID-19-ArbZV durch Änderung bestehender betrieblicher Arbeitszeitregimes erforderlich (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG, § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG und die nämlichen Vorschriften in den Personalvertretungsgesetzen der Bundesländer), so die NRV. Es handele sich um einen unter pandemisch induziertem vermeintlichen Handlungsdruck entstandenen gesetzgeberischen Schnellschuss, schlecht gemacht, jedoch mit gefährlich präzedenzieller Bedeutung, so die abschließende Bewertung der NRV.