Voraussetzungen des beschleunigten Verfahrens im Einzelfall zu klären
Das beschleunigte Verfahren gemäß § 417 StPO schränke die Verfahrensgarantien für den Beschuldigten in erheblichem Maße ein. Zugunsten einer schnellen und vermeintlich schneidigen Justiz werde das Grundrecht auf Fortbewegungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG durch eine niederschwellige Möglichkeit zur Verhaftung nach § 127b StPO eingeschränkt. Ob die Voraussetzungen des beschleunigten Verfahrens – einfacher Sachverhalt oder klare Beweislage – in Fällen der Klimablockaden vorliegen, dürfte sich angesichts der jüngeren Rechtsprechung zu rechtlichen Fragen der Nötigung nach § 240 StGB in Fällen von Klimablockaden jeder schematischen Betrachtung entziehen und in jedem Fall einzeln zu prüfen sein. Halte man die Letzte Generation für eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB, sei ein beschleunigtes Verfahren auf jeden Fall unangebracht, betont die NRV. Denn wer Angeklagter in einem beschleunigten Verfahren – mit einer höchstmöglichen Strafe von einem Jahr Freiheitsstrafe – ist, der könne kaum zugleich erhebliche Straftaten begehen.
Wird faktisch eine "lex Klimakleber" geschaffen?
Die NRV nimmt in ihrer Mitteilung Stellung zur Änderung des Geschäftsverteilungsplans des AG Berlin-Tiergarten aufgrund eines erwarteten Anstiegs beschleunigter Verfahren: Der Anschein einer Sondergerichtsbarkeit entgegen Art. 101 Abs. 1 GG müsse nach Ansicht der NRV unbedingt vermieden werden. Auffällig sei, dass die Geschäftsverteilung zwischen beschleunigten Verfahren der Amtsanwaltschaft und Staatsanwaltschaft unterscheide, wobei letztere bisher keine beschleunigten Verfahren beantragte. Eine Differenzierung nach der antragsstellenden Behörde scheine nicht auf einen sachlichen Differenzierungsgrund zurückzuführen. Ob damit faktisch eine "lex Klimakleber" geschaffen worden sei und die hierfür nach dem abgeänderten Geschäftsverteilungsplan zuständigen Richter letzten Endes ausschließlich Fälle so genannter "Klimakleber" aburteilen werden, bleibe genau zu beobachten, betont die NRV.
Verfahren bislang überwiegend "gründlich, sachlich und unaufgeregt"
"Der Justiz ist es überwiegend gelungen, sich trotz der Präsenz und Aufregung aufgrund der Klimademonstrierenden auf ihre Stärken zu besinnen und Verfahren wegen Blockadeaktionen gründlich, sachlich und unaufgeregt zu bearbeiten", betont Simon Pschorr, Sprecher der Fachgruppe Strafrecht der NRV. Es obliege nun den Justizinstitutionen, der Staatsanwaltschaft und dem AG, zu zeigen, dass es keine Sonderbehandlung von Klimademonstrierenden gebe und die strafprozessualen und verfassungsrechtlichen Erfordernisse eingehalten werden, so Pschorr.