Neue Flüchtlingskrise: DAV appelliert an Wahrung der Rechtsstaatlichkeit in der EU

Die Ankündigung Griechenlands, für einen Monat keine neuen Asylgesuche mehr zu registrieren, bietet für den Deutschen Anwaltverein (DAV) Anlass zu großer Sorge. Rechtsstaatliche Verfahren und der Zugang zum Recht müssten aufrechterhalten werden. Das jetzige Vorgehen stelle auch ein Versagen der gesamten EU dar, da es in dieser Situation nicht allein Griechenland überlassen bleiben könne, ein rechtsstaatliches Verfahren zu garantieren.

DAV kritisiert Griechenlands Ankündigung zur Aussetzung der Annahme von Asylanträgen

“Die Lage vor der griechischen Grenze zur Türkei ist eine große gesamteuropäische Herausforderung“, gibt Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser, Vorsitzender der DAV-Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht, zu bedenken. Dieses unionsrechtswidrige Verhalten könne nicht gerechtfertigt werden. Am 01.03.2020 hatte die griechische Regierung angekündigt, angesichts wachsender Zahlen von Geflüchteten vor den Landesgrenzen zur Türkei die Aufnahme neuer Asylanträge für einen Monat auszusetzen. “Rechtsstaatliche Verfahren zu gewährleisten ist eine originäre Aufgabe der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten. Die EU ist ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und muss dies gerade in Ausnahmesituationen unter Beweis stellen“, so Oberhäuser.

Aussetzung des Asylrechts ist Verstoß gegen Dublin-Verordnung

“Die Dublin-Verordnung steht einer Aussetzung des Asylrechts ausdrücklich entgegen. Das betrifft insbesondere Fälle, in denen Schutzsuchende direkt und ohne Registrierung und Möglichkeit zur Stellung eines Asylantrags in ihr Heimatland abgeschoben werden“, so der DAV-Europarechtsexperte Ulrich Karpenstein. Nach der Dublin-III-Verordnung müssten die Mitgliedstaaten jeden Antrag auf internationalen Schutz prüfen, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich Grenzen oder Transitzonen stelle.

Appell an solidarisches europäisches Handeln

Griechenland hatte sich auf die Notlagenkompetenz im Fall eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen berufen – zu Unrecht, erläuterte Karpenstein: “Es gilt der Vorrang des Unionsrechts, der ausschließt, dass ein Mitgliedstaat allein handelt und das Unionsrecht suspendiert.“ Der Europäische Gerichtshof habe bereits 2017 entschieden, dass die Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl Schutzsuchender grundsätzlich keinen Einfluss auf die Anwendung der Dublin-III-Verordnung haben könne. Karpenstein betont: “Was wir jetzt brauchen, ist ein solidarisches europäisches Handeln, indem die Europäische Union gemeinsam für die Gewährleistung der Grundrechtecharta und des europäischen Asylrechtssystems – auch in Krisen – einsteht.“

Forderung nach Wahrung der Rechtsstaatlichkeit als Kern europäischer Identität

Die europäische Anwaltschaft versucht bereits seit einigen Jahren mit dem Projekt European Lawyers in Lesvos (ELIL), das Fehlen rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien punktuell aufzufangen. Der DAV fordert die Europäische Union angesichts der aktuellen Lage vor den griechischen Grenzen und auf den griechischen Inseln zu gesamteuropäischem Handeln unter Wahrung des Kerns ihrer Identität, der Rechtsstaatlichkeit, auf.

Redaktion beck-aktuell, 3. März 2020.

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