Zahlreiche Beschlüsse: Langer Abend im Bundestag

Der Bundestag verabschiedete gestern bis in den späten Abend hinein eine Reihe von Gesetzen. Die Beschlüsse umfassen den schnelleren Kohleausstieg im Rheinischen Revier, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, strengere Regeln für den Antibiotika-Einsatz bei Nutztieren, mehr Hinzuverdienstmöglichkeiten für Rentner und Künstler, den Abschied vom gedruckten Bundesgesetzblatt, die Umsetzung der EU-Umwandlungsrichtlinie sowie die bessere Durchsetzbarkeit von Sanktionen gegen russische Oligarchen.

Schnellerer Kohleausstieg im Rheinischen Revier

Der Kohleausstieg im Rheinischen Revier wird um acht Jahre vorgezogen. Der Bundestag verabschiedete ein Gesetz, wonach die drei Braunkohlekraftwerke Neurath F und G sowie Niederaußem K bereits im Jahr 2030 vom Netz gehen und nicht erst - wie bisher festgeschrieben - im Jahr 2038. Damit billigten die Parlamentarier eine entsprechende Vereinbarung zwischen Bundesregierung, nordrhein-westfälischer Landesregierung und dem Energiekonzern RWE. Zu der Vereinbarung gehört allerdings auch, dass die Kraftwerksblöcke Neurath D und E, die eigentlich zum Jahresende abgeschaltet werden sollten, wegen der Energiepreiskrise mindestens bis Ende März 2024 in Betrieb bleiben. Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Reinhard Houben, sprach in diesem Zusammenhang von einer verantwortlichen Energiepolitik für Deutschland und Europa.

Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Der Bundestag hat zudem (gegen 23:30 Uhr) ein Maßnahmenbündel beschlossen, das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern soll. Das Gesetz sieht vor allem zusätzliche Pflichten für Arbeitgeber vor. So müssen sie innerhalb von vier Wochen entscheiden, wenn sich Beschäftigte für die Pflege eines Angehörigen freistellen lassen wollen. Für den Zeitraum der Freistellung wird ein Kündigungsschutz eingeführt. Zudem muss eine Ablehnung des Antrags ebenso begründet werden wie bei Eltern, die ihre Arbeitsstunden in der Elternzeit verringern möchten, aber nicht dürfen.

Strengere Regeln für Antibiotika-Einsatz bei Nutztieren

Um den Einsatz von Antibiotika bei Nutztieren weiter zu reduzieren, hat der Bundestag eine Reform des Tierarzneimittelgesetzes verabschiedet. Wenn der Bundesrat ebenfalls zustimmt, müssen Tierärzte demnach ab dem kommenden Jahr die Anwendung von Antibiotika bei sämtlichen Rindern, Schweinen, Hühnern und Puten melden - auch bei Tiergruppen wie Milchkühen und Legehennen, die bislang davon ausgenommen waren. Vorgeschrieben wird darüber hinaus, dass bestimmte Wirkstoffe so selten wie möglich zum Einsatz kommen dürfen. Auch die Eingriffsmöglichkeiten der Überwachungsbehörden werden ausgeweitet. Allein in Europa sterben jedes Jahr Zehntausende Menschen an der Folge von Antibiotika-Resistenzen. Der übermäßige Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht gilt als eine der Hauptursachen für die Entstehung und Verbreitung von resistenten Erregern. "Antibiotikaresistenzen sind eines der größten Gesundheitsprobleme unserer Zeit", sagte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Die Opposition kritisierte das Gesetz hingegen als zu weitgehend und sprach von Überregulierung.

Mehr Hinzuverdienst für Frührentner und Künstler

Des Weiteren hat der Bundestag beschlossen, die Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten ersatzlos zu streichen. Damit können Frührentner mit einem Nebenjob ab dem kommenden Jahr beliebig viel hinzuverdienen, ohne dass ihre Rente gekürzt wird. Bei Beziehern von Erwerbsminderungsrenten steigen die Hinzuverdienstgrenzen von derzeit 6.300 Euro im Jahr je nach Einzelfall auf bis zu 34.500 Euro. Diese Einzelregelungen sind Teil eines umfangreichen Änderungskatalogs für den Bereich der Sozialversicherungen. Zu dem Maßnahmenbündel gehören unter anderem auch großzügigere Hinzuverdienstmöglichkeiten in der Künstlersozialkasse (KSK). Während deren Mitglieder bisher maximal 450 Euro im Monat aus einer nicht-künstlerischen Tätigkeit verdienen durften, bleiben sie künftig so lange über die KSK abgesichert, wie die künstlerische oder publizistische Tätigkeit noch als "Hauptberuf" erkennbar ist. Darüber hinaus enthält das vom Bundestag verabschiedete Gesetzespaket eine Reihe von Maßnahmen zur Digitalisierung: So werden zahlreiche Vorgänge wie die Meldung von Elterngeldzeiten oder die Ausstellung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung von der bisherigen Papierform komplett auf elektronische Verfahren umgestellt.

Abschied vom gedruckten Bundesgesetzblatt

Auch die amtliche Verkündung von Gesetzen erfolgt in Zukunft elektronisch über das Internet. Durch den Bundestagsbeschluss wird die bisherige Praxis abgelöst, wonach Gesetze in dem auf Papier gedruckten Bundesgesetzblatt erscheinen müssen. Mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit billigte der Bundestag auch die dafür notwendige Änderung des Art. 82 GG. Damit wird ausdrücklich klargestellt, dass das Bundesgesetzblatt in elektronischer Form geführt werden kann. Die Grundgesetz-Änderung muss allerdings noch vom Bundesrat bestätigt werden.

Umsetzung der EU-Umwandlungsrichtlinie

Bei grenzüberschreitenden Unternehmensfusionen und -aufspaltungen oder einem Wechsel der Rechtsform soll der Abbau von Arbeitnehmerrechten vermieden werden. Dieses Ziel verfolgt die sogenannte Umwandlungsrichtlinie der EU, deren nationale Umsetzung der Bundestag ebenfalls beschloss. Einer der Bausteine ist die Vier-Fünftel-Regelung: Demnach sind Verhandlungen über die Mitbestimmung schon dann erforderlich, wenn eine beteiligte Gesellschaft eine Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt, die mindestens vier Fünfteln des Schwellenwerts entspricht, der die Unternehmensmitbestimmung im jeweiligen Wegzugsstaat vorschreibt.

Sanktionen gegen russische Oligarchen

Schließlich hat der Bundestag gesetzlichen Änderungen zugestimmt, mit denen Sanktionen gegen russische Oligarchen infolge des Ukraine-Kriegs künftig besser durchgesetzt werden können. Vorgesehen sind zum einen Verbesserungen bei behördlichen Strukturen. Zum anderen soll es etwa künftig beim Kauf von Immobilien ein Barzahlungsverbot geben. Eine neu zu schaffende Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung soll die Arbeit der zuständigen Behörden koordinieren - dies soll auch Synergieeffekte für die Bekämpfung der Geldwäsche ermöglichen. Die Zentralstelle soll auch Tipps von Hinweisgebern entgegennehmen. Wenn ein Unternehmen gegen Sanktionen verstößt oder zu verstoßen droht, soll die Stelle einen Sonderbeauftragten zu seiner Überwachung einsetzen können.

Stimmen aus dem Bundestag

Der FDP-Finanzpolitiker Markus Herbrand sagte, die "Günstlinge" des russischen Präsidenten Wladimir Putin müssten dort getroffen werden, wo es ihnen weh tue, bei Kontostand oder Luxusvillen. Damit würden "Absatzbewegungen" des russischen Geldadels von Putin gestärkt. Der SPD-Politiker Carlos Kasper sagte, die SPD hätte gerne ein generelles Bargeldverbot ab 10.000 Euro gehabt, das sei aber leider noch nicht möglich gewesen. Er verwies auf die EU. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte bereits angekündigt, sie wolle zur besseren Bekämpfung der Organisierten Kriminalität unter anderem eine Bargeld-Obergrenze von unter 10.000 Euro einführen. Der CDU-Abgeordnete Matthias Hauer kritisierte, die Ampel verfehle mit dem Gesetz ihre Ziele, Sanktionen wirksamer umzusetzen. Das Gesetz sei ein "Totalausfall". So lasse die Koalition Oligarchen weiter in Villen wohnen und Luxusautos fahren. Mit der neuen Zentralstelle werde eine Behörde ohne klare Kompetenzen geschaffen. Die Grünen-Finanzpolitikerin Sabine Grützmacher sagte, der Weg des Geldes von Oligarchen und Organisationen, die etwas zu verbergen haben, sei häufig verworren. "Unser Rechtsstaat braucht deshalb wirksame Instrumente, um verschleierte Vermögen zu entdecken und Verantwortliche aus dem Hintergrund zur Verantwortung zu ziehen".

Redaktion beck-aktuell, 2. Dezember 2022 (dpa).