Neuausrichtung beim Gläubigerbenachteiligungsvorsatz
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Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit führt nicht mehr automatisch zur Annahme, dass der Schuldner durch Zahlungen Gläubiger benachteiligen will. Entsprechend muss, so der Bundesgerichtshof in einer für die amtliche Sammlung vorgesehenen Entscheidung, auch der Empfänger, der die Zahlungsunfähigkeit kennt, nicht zwingend auf einen solchen Vorsatz schließen. Die bisherige ständige Rechtsprechung bedürfe einer neuen Ausrichtung.

Jahresabschlüsse nicht veröffentlicht

Der Insolvenzverwalter eines Unternehmens verlangte von der Bundesrepublik die Rückzahlung eines Ordnungsgeldes, das vom Bundesamt für Justiz verhängt worden war. Hintergrund war die Nichtveröffentlichung des Jahresabschlusses für 2006. Dieser wurde schließlich im September 2008 an die Öffentlichkeit gegeben. Trotzdem setzte die Behörde ein Ordnungsgeld in Höhe von 2.500 Euro nebst Kosten fest. Nach "eingehender telefonischer Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse" akzeptierte sie eine Ratenzahlung. Die Schuldnerin zahlte fast den gesamten Betrag in neun Teilbeträgen. Die Klage des Insolvenzverwalters auf Rückerstattung hatte in Bonn keinen Erfolg: Sowohl Amts- als auch Landgericht wiesen sie ab. Doch vor dem BGH hatten diese Entscheidungen keinen Bestand.

Kenntnis entspricht nicht Vorsatz

Das Landgericht muss die Frage, ob das Bundesamt hier Kenntnis von einem (unterstellten) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin gehabt habe, erneut prüfen. Die Karlsruher Richter geben dabei einen neuen Prüfungsrahmen vor. Sie räumen ein, dass der bisherige Automatismus, Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit entspreche Kenntnis vom Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung, nicht ohne Bruch in das System von § 133 InsO passe. Es sei auch nicht zwingend so, dass der Schuldner trotz momentan leerer Kassen nicht die Hoffnung haben könne, in Zukunft wieder alle Gläubiger bedienen zu können. Der IX. Zivilsenat betont, dass die Frage, ob die Krise schon zu weit fortgeschritten sei, um solche Hoffnungen zu erlauben, von entscheidender Bedeutung sei. Gerade bei kongruenter Deckung - wenn also der Gläubiger das erhalte, worauf er Anspruch habe - existierten Fallgestaltungen, bei denen man nicht von einem bösen Willen ausgehen könne. Dann werde der Vertrauensschutz des redlichen Empfängers unterlaufen. Der BGH weist ferner darauf hin, dass seines Erachtens die Vermutungsregel für eine Benachteiligung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO durch die Kurskorrektur erstmals einen eigenen Anwendungsbereich erhält.  

BGH, Urteil vom 06.05.2021 - IX ZR 72/20

Redaktion beck-aktuell; Michael Dollmann, Mitglied der NJW-Redaktion, 5. Juli 2021.