In einer juristischen Auseinandersetzung gegen die VW-Dachgesellschaft Porsche SE (PSE) im Zusammenhang mit dem Dieselskandal rechnet das Oberlandesgericht Stuttgart nicht mit einem schnellen Ende. Der Senatsvorsitzende Stefan Vatter sagte am Dienstag, die entscheidenden Weichen in dem Musterverfahren werde der Bundesgerichtshof stellen. Bei der Verhandlung in Leinfelden-Echterdingen geht es im Kern um die Frage, ob die Holding ihre Aktionäre zu einem früheren Zeitpunkt über das Ausmaß der Diesel-Abgasaffäre bei VW hätte informieren müssen.
Britischer Fonds zu Musterkläger bestimmt
Zum Musterkläger hatte das OLG einen britischen Fonds erklärt, der einen Anspruch von 5,7 Millionen Euro geltend macht. Über die Höhe einzelner Ansprüche verhandelt das OLG hier nicht – es geht um die Frage, ob die Kläger prinzipiell Anrecht auf eine Entschädigung haben.
PSE überhaupt in der Pflicht?
Vatter sagte, eine Konstellation, wie sie verhandelt werde, habe es bislang nicht gegeben. Zu klären sein wird vor allem, ob und unter welchen Umständen die PSE als VW-Dachgesellschaft überhaupt eigenständig zur Veröffentlichung von Börsen-Pflichtmitteilungen über kursrelevante Vorgänge bei VW verpflichtet war. Die PSE ist zwar Hauptaktionärin von VW, hat aber selbst kein operatives Geschäft. Eine Pflicht für die Veröffentlichung entstehe dort, wo das Ereignis spiele, argumentierte der Porsche SE-Anwalt. Hingegen erklärten die Kläger-Anwälte, die Anleger interessierten die Auswirkungen des Dieselskandals auf die Dachgesellschaft.
PSE hält Klagen für unbegründet
Die Kläger argumentieren, dass sie – im Unwissen über die Dieselbetrügereien – vor Jahren zu viel Geld für ihre PSE-Aktien bezahlt hätten. Ihre Argumentation: Wenn VW und dann auch die Holding die Märkte früher über den Skandal informiert hätten, hätte das auch früher den Aktienkurs gedrückt und sie hätten weniger für ihre Anteile bezahlen müssen. Die PSE hält die Klagen für "offensichtlich unbegründet". Man sei eine Beteiligungsholding und kein Autobauer, daher sei man auch nicht mit der Entwicklung, Herstellung oder dem Vertrieb von auffällig gewordenen Dieselmotoren befasst gewesen.
Redaktion beck-aktuell, 10. November 2021 (dpa).
Aus der Datenbank beck-online
OLG Stuttgart, Sperrwirkung für zweites Musterverfahren, BeckRS 2019, 8147
LG Stuttgart, Schadenersatz der Porsche SE wegen verspäteter Information über den Dieselskandal und dessen finanzielle Folgen durch VW, WM 2019, 463
Bendig, Der Abgasskandal und seine rechtlichen Folgen, ZFS 2017, 8
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