Mordprozess gegen "Reichsbürger" Wolfgang P. startet

Am 29.08.2017 beginnt der Strafprozess gegen den "Reichsbürger" Wolfgang P., der Mitte Oktober 2016 einen Polizisten erschoss, als ihm seine Waffen abgenommen werden sollten. Die "Reichsbürger"-Bewegung wurde lange nicht ernstgenommen. Der Vorfall hat dann schlagartig dazu geführt, dass die "Reichsbürger" nicht mehr nur als harmlose Spinner abgetan werden.

Wolfgang P.: "Mein Wort ist hier Gesetz"

Die Grenzen des "Regierungsbezirks Wolfgang" sind noch da. Um sein Grundstück hat der Hausherr lange gelbe Linien gezogen, gewissermaßen sein Revier abgesteckt. Und wer die Botschaft noch immer nicht verstanden hat, dem sei ein Blick auf den Briefkasten empfohlen. Auf einem angenagelten Schild steht unter einem Hinweis auf die Territorialverhältnisse eine ziemlich klare Ansage: "Mein Wort ist hier Gesetz!"

Prozess rückt "Reichsbürger"-Bewegung in den Fokus

Als die Polizei Mitte Oktober 2016 anrückt und ihm seine Waffen abnehmen will, sieht P. rot. Aus dem Haus heraus feuert er mehrere Schüsse auf Beamte ab, einer von ihnen wird tödlich getroffen, zwei weitere verletzt. Gut zehn Monate nach dem Drama im südlich von Nürnberg gelegenen Georgensgmünd startet am 29.08.2017 gegen P. der Prozess. Der Vorwurf: Mord und versuchter Mord sowie gefährliche Körperverletzung. Und wenn er vor Gericht steht, wird einmal mehr eine Bewegung in den Fokus rücken, die lange kaum jemand auf dem Zettel hatte: die "Reichsbürger".

"Reichsbürger" erkennen Deutschland nicht als Staat an

Für sie ist die Bundesrepublik eine Fata Morgana, kein souveräner Staat. Vermeintliche Belege dafür finden "Reichsbürger" zuhauf. Einige sagen, Deutschland sei noch im Krieg und werde von den Siegermächten kontrolliert. Andere erklären, das Grundgesetz sei keine Verfassung - und basteln sich ihre eigene Grundordnung samt dazugehörigen Ausweispapieren. Vor allem aber eine Behauptung klingt abstrus: Die Bundesrepublik sei ein Unternehmen - auch "BRD GmbH" genannt. In einem gleichnamigen Manifest mit mehr als 200 Seiten dazu heißt es: Der Personalausweis weist die Bürger der BRD als Personal einer Firma aus und nicht als Staatsangehörige. Dasselbe gelte für den Dienstausweis von Beamten, der die Inhaber als "Bedienstete" entlarve, argumentieren sie.

Keine Anzeichen für aggressives Verhalten vor der Tat

Vor dem verlassenen Haus des Angeklagten steht Peter Bauer und rätselt, wie es mit seinem Bekannten so weit kommen konnte. P. kenne er schon von Kindesbeinen an. Jahrelang habe er ein Kampfsportstudio betrieben und für die Gemeinde und Schulen im Ort Selbstverteidigungskurse angeboten - das habe er schon "fast als Friedensbotschaft" verstanden. Doch wie wurde dann aus einem Friedensbotschafter ein Gewalttäter? Das könne wohl nur der Schütze selbst beantworten, sagt Bauer. Dass er aggressiv werden könnte - darauf habe es im Umfeld keine Hinweise gegeben. Einmal habe P. sich aber vehement gegen eine Abwasserabgabe der Gemeinde gewehrt. Zwar klage jeder mal über Steuern, sagt Bauer. Aber im Rückblick werde ihm einiges klar. "Er hat sich so definiert", fasst Bauer zusammen: "Er hat seinen eigenen Staat mit seinen eigenen Gesetzen. Und die Bundesrepublik Deutschland hat auf seinem Staatsgebiet nichts verloren und darf dementsprechend keine Steuern gegen ihn erheben." Der Nachbar kann nur den Kopf darüber schütteln. "Er hat sich da eben seine Theorie zusammengeschustert." 

Verfassungsschutzbericht: "Reichsbürger"-Bewegung wächst

Es ist nicht nur die Theorie von Wolfgang P. Für das erste Quartal 2017 geht der Bundesverfassungsschutz von deutschlandweit rund 12.600 Anhängern der "Reichsbürger"-Szene aus. Seit Ende 2016 - damals wurde das Potenzial auf rund 10.000 geschätzt - habe sich deren Zahl damit um etwa ein Viertel erhöht. Die Ermittlungen sind aber noch nicht abgeschlossen. Mit anderen Worten: Die Zahl der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" dürfte noch steigen. In Bayern geht das Landesamt für Verfassungsschutz von mindestens 3.000 "Reichsbürgern" aus. Mit zwei von ihnen hat Roland Frick schon Bekanntschaft gemacht. Frick ist Bürgermeister der oberbayerischen Gemeinde Pliening - dem Sitz der "administrativen Regierung" des "Bundesstaats Bayern". "Reichsbürger" lenken von dort aus die Geschicke ihrer fiktiven Regierung. Ein kleines Einfamilienhaus im Ortsteil Landsham mit kleinem Garten und noch kleinerer Auffahrt soll das "Innenministerium" sein. Auf dem Briefkasten steht "Poststelle" - mehr deutet nicht auf die vermeintliche Hoheit des Ortes hin.

"Reichsbürger" nach Tötung des Polizisten nicht mehr als Spinner abgetan

Im Sommer 2014 kamen zwei "Reichsbürger" zum ersten Mal in Fricks Büro und legten ihm ihre Weltanschauung dar. "Sie wollten ihre Ausweise abgeben, weil sie den Staat nicht anerkennen", berichtet Frick. Die Ausweise warf das Paar in den Briefkasten der Gemeinde. Aber sonst seien die beiden unauffällig, nicht bösartig. Und im Gemeindeleben spiele das Duo keine Rolle. Doch seit dem Vorfall in Georgensgmünd schaue er genauer hin, sagt Frick. Der Bürgermeister war früher bei der Kripo. "Seit das mit dem Kollegen war, ist das Thema nicht nur stärker präsent, sondern ich würde das auch nicht mehr abtun als Spinnerei." Auch der Staat schaut nun genauer hin: Seit Georgensgmünd gab es zahlreiche Razzien gegen mutmaßliche Anhänger der Szene. 

"Reichsbürger"-Bewegung ist Sammelbecken unterschiedlicher Gruppen

Aber wie umgehen mit dem Gesamtphänomen "Reichsbürger"? Das kommt wohl ganz darauf an, wen man vor sich hat. Denn "Reichbürger" ist nicht gleich "Reichsbürger", wie der Verfassungsschutz in Bayern erklärt. Es handele sich um eine Splitterbewegung, der ganz unterschiedliche Menschen angehören. In den einschlägigen Milieus fänden sich Neonazis, die zum Beispiel die ehemaligen ostdeutschen Gebiete im heutigen Polen und Russland zurückhaben wollten, sagt Birgit Mair vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung in Nürnberg. Es gebe zudem Leute mit Finanznöten, die im Internet nach Lösungen suchten, dann jedoch an "Scheinangebote" sogenannter Reichsbürger gerieten. Aber auch psychisch Kranke tummelten sich in der Bewegung. Oder so mancher Querulant mit einer Antihaltung, dem die Ideologie wie gerufen komme. Vor allem Quertreiber machen den Verwaltungen mit Telefonterror und zahllosen Anfragen zu schaffen. In manchen Bundesländern sollen "Reichsbürger"-Schulungen im öffentlichen Dienst beim Umgang mit dem Problem helfen.

Gerichtsvollzieher besonders gefährdet

Gerichtsvollzieher gehören zu den wenigen in der Justiz, die sich der direkten Konfrontation mit den "Reichsbürgern" aussetzen müssen. Wie gefährlich so ein Zusammentreffen werden kann, zeigt ein prominenter Fall aus dem Jahr 2012: In einem Örtchen in Sachsen wird ein Gerichtsvollzieher beim Eintreiben von Steuern "festgenommen" und schikaniert - vom sogenannten "Deutschen Polizei Hilfswerk", einer "Reichsbürger-Polizei". Die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelt gegen die Truppe wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung, stellt das Verfahren 2015 aber wieder ein. Die Truppe habe sich unter dem Verfolgungsdruck im Laufe des Jahres 2013 aufgelöst, hieß es aus Dresden dazu.

Gerichtsvollzieherbund warnt seit langem vor "Reichsbürgern"

Für die Gerichtsvollzieher änderte sich mit der vermutlichen Auflösung wenig. "Die Kollegen und Kolleginnen haben neben physischer Gewalt auch mit Drohungen zu tun - auch Morddrohungen", sagt Walter Gietmann, Bundesvorsitzender des Deutschen Gerichtsvollzieherbunds. Seit fünf Jahren schon warne der Verband immer wieder vor dem Problem. "Reichsbürger wurden lange Zeit als harmlose Spinner betrachtet und es ist sehr, sehr schade, dass erst ein Mensch ums Leben kommen muss, bevor der Staat angemessen auf diese Gruppierung reagiert", kritisiert Gietmann.

Prozess gegen Ex-Mister Germany wegen Schüssen auf Polizisten bei Zwangsräumung startet im Herbst

Sobald Waffen ins Spiel kommen, kann es gefährlich werden. Das zeigte sich schon vor dem Fall Wolfgang P.: Im August 2016 schoss ein "Reichsbürger" in Sachen-Anhalt auf Polizisten, die bei einer gerichtlich angeordneten Zwangsräumung helfen sollten. Im Oktober 2017 soll der Prozess gegen den Schützen Adrian U. beginnen, einem früheren Mister Germany. Pikantes Detail: Nach Informationen von RBB und MDR soll Wolfgang P. Kontakt zu U. gehabt haben.

Redaktion beck-aktuell, Bernard Darko und Aleksandra Bakmaz, 24. August 2017 (dpa).

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