Ergänzung des § 139 PatG geplant
In der Sitzung gingen die sieben geladenen Sachverständigen besonders auf die im Entwurf vorgesehene Klarstellung der Regelung des Unterlassungsanspruchs bei Verletzungen von Patenten oder Gebrauchsmustern ein. Hintergrund ist die fortschreitende Digitalisierung und die zunehmenden technologische Komplexität von Produkten. Im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung soll sichergestellt werden, dass die nach geltendem Recht bereits bestehende Möglichkeit, Verhältnismäßigkeitserwägungen beim Unterlassungsanspruch zu berücksichtigen, auch in der gerichtlichen Praxis als Korrektiv hinreichend zum Tragen kommt. Entsprechend soll der § 139 des Patentgesetzes durch eine Klarstellung ergänzt werden.
Reaktion auf BGH-Entscheidung
In dem Entwurf wird auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (GRUR 2016, 1031 – Wärmetauscher) verwiesen, wonach eine gerichtliche Unterlassungsverfügung nicht ergehen darf, soweit die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs des Verletzten auch unter Berücksichtigung seiner Interessen gegenüber dem Patentverletzer eine unverhältnismäßige Härte darstellt und daher treuwidrig wäre. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen des deutschen Rechts ermöglichten damit schon heute die Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs bei Patentverletzungen. Die Instanzgerichte berücksichtigten dies jedoch bislang nur sehr zurückhaltend. So könne es vereinzelt zu Fällen kommen, in denen die wirtschaftlichen Nachteile einer gerichtlich gewährten Unterlassungsverfügung eindeutig über das Maß hinausgehen, das für eine hinreichend abschreckende Wirkung erforderlich ist. Vor diesem Hintergrund erscheine es sachgerecht, mit der vorgeschlagenen Ergänzung ausdrücklich klarzustellen, dass die Inanspruchnahme auf Unterlassung im Einzelfall ausnahmsweise unverhältnismäßig sein kann. Dies dürfe jedoch nicht zu einer Entwertung des Patentrechts führen.
BGH-Richter begrüßt Entwurf
Fabian Hoffmann, Richter am BGH, begrüßte den Entwurf in der vorliegenden Fassung. Er ging in seiner Stellungnahme nicht davon aus, dass die im Entwurf vorgesehene Verhältnismäßigkeitsprüfung an den Grundzügen der mit der Wärmetauscher-Entscheidung beschrittenen Rechtsprechung etwas grundsätzlich ändern wird. Eine Kodifizierung dieser Entscheidung sei von erheblicher Bedeutung. Da es bisher im Wesentlichen nur eine höchstrichterliche Entscheidung hierzu gibt, sei eine solche Feinjustierung äußerst wünschenswert.
Effektive Durchsetzung mit "Augenmaß und Flexibilität"
Ansgar Ohly, Lehrstuhlinhaber an der Ludwig-Maximilians-Universität München, bezeichnete in seiner Stellungnahme einen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt im Patentrecht als "Sicherheitsventil" als sinnvoll. Es sei juristisch, ökonomisch und rechtspolitisch nicht zu bestreiten, dass das Patentrecht der effektiven Durchsetzung bedürfe. Aber in einer veränderten technologischen und ökonomischen Landschaft mehrten sich die Fälle, in denen eine solche Durchsetzung nicht kompromisslos geschehen dürfe, sondern mit Augenmaß und Flexibilität erfolgen müsse.
Automobilindustrie: Geplante Verhältnismäßigkeitsprüfung zu "schwach"
Kurt-Christian Scheel, der für den Verband der Automobilindustrie (VDA) sprach, verwies darauf, dass die im VDA vertretenen Unternehmen als Top-Innovatoren zu den größten Inhabern geistigen Eigentums in Deutschland zählten. Für sie sei ein starkes deutsches Patentrecht essenziell. Gerade deshalb befürworte der VDA die Einführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung in § 139, damit Innovationen nicht automatisch gebremst, sondern weiter gefördert werden. Mit dem Regierungsentwurf sei jetzt allerdings eine Fassung vorgelegt worden, die gegenüber dem Referentenentwurf eine deutlich geschwächte Verhältnismäßigkeitsprüfung vorsehe, sodass davon auszugehen sei, dass das in der Gesetzesbegründung gewünschte Ziel nicht erreicht wird.
Kritik am Entwurf
Mary-Rose McGuire, Lehrstuhlinhaberin an der Universität Osnabrück, lehnte den Entwurf ab. Er bediene ein Narrativ des Patenttrolls, der seine formale Rechtsstellung treuwidrig ausnutzt und dem redlichen Verletzer ohne Not wirtschaftlichen Schaden zufügt. Damit entferne sich der Entwurf von dem selbst gesetzten Ziel, die Rechtslage durch die Kodifikation der Rechtsprechung des BGH in der Rechtssache Wärmetauscher klarzustellen. Sie empfahl die Rückkehr zu dem Diskussionsentwurf des Gesetzes, der diese wortgetreu übernommen habe. Alissa Zeller, Vorsitzende des Fachausschusses Gewerbliche Schutzrechte beim Verband der Chemischen Industrie (VCI), erklärte, Deutschland habe eines der höchst entwickelten Systeme des gerichtlichen Schutzes gegen Patentverletzungen. Insbesondere die Möglichkeit, den patentrechtlichen Unterlassungsanspruch wirksam und zügig durchsetzen zu können, zeichne dieses System aus. Die geplante Einführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung in den Tatbestand des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs sei innovationsfeindlich. Auch Zeller sprach sich im Falle einer Änderung des Paragrafen 139 für eine Rückkehr zum Wortlaut des Diskussionsentwurfs aus, ergänzt um eine Regelung zum Ausgleichsanspruch des Patentinhabers.
Patentanwälte gegen Änderung des § 139 PatG
Der Münchener Patentanwalt Andreas Popp erklärte, eine zusätzliche Ergänzung des Paragrafen 139 sei aus seiner Sicht nicht notwendig. Die weiteren vorgesehenen Maßnahmen zusammen mit der BGH-Rechtsprechung "Wärmetauscher" gäben den Instanzgerichten den Rahmen für die ausnahmsweise Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs vor und erlaubten eine sachgerechte Weiterentwicklung durch die Rechtsprechung. Popp begrüßte die Beschleunigung und Verzahnung von Verletzungsverfahren und die Einführung des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen. Auch die Patentanwältin Renate Weisse aus Berlin sieht keine Notwendigkeit für eine Änderungen des Paragrafen 139. Das Patentrecht dürfe nicht aufgeweicht werden. Die Folge werde sein, dass Unverhältnismäßigkeit in jedem Verletzungsverfahren geltend gemacht und die Verfahren belasten wird – auch wenn es jetzt als Ausnahmetatbestand gedacht sei. Patentrecherchen, um Verletzungen weitestgehend auszuschließen, seien für jedes Unternehmen möglich und zumutbar. Die Abschreckungswirkung müsse weiterhin bestehen bleiben, eine Kodifizierung sei nicht erforderlich.