"Mit Recht nachhaltig": Deutscher Anwaltstag 2023

Unter dem Motto "Mit Recht nachhaltig" widmete sich der Deutsche Anwaltstag (DAT), der dieses Jahr vom 12. bis zum 16. Juni sowohl virtuell als auch in Präsenz in Wiesbaden stattfand, dem wohl wichtigsten gesell­schaft­lichen Thema der näheren Zukunft. Neben Veranstal­tungen rund um Klimaschutz­fragen – etwa aus mietrecht­licher oder strafrecht­licher Sicht – beschäftigte sich der DAT auch mit Greenwashing, IT-Gesetz­gebung, dem Liefer­ket­ten­gesetz und der Mediation.

Nachhaltigkeit: Sowohl Ermitt­lungs­auftrag als auch Lösungs­an­spruch

"Mit Recht nachhaltig" – darin steckten gleichermaßen ein Ermitt­lungs­auftrag und ein Lösungs­an­spruch, so der Deutsche Anwalt­verein (DAV) zum Motto des diesjährigen DAT. Fast jedes Rechts­gebiet könne Aspekte beisteuern: Wie stehe es beispielsweise um die Strafbarkeit von Klimapro­testen, den Umwelt­schutz bei Infrastruk­tur­maß­nahmen, die Zulässigkeit von Werbever­sprechen? Wie nachhaltig könne Gesetz­gebung im IT-Recht sein? Und seien Verein­ba­rungen per Mediation nachhaltiger als Gerichts­urteile? "Das Recht steht vor der Heraus­for­derung, die Rahmen­be­din­gungen für Nachhal­tigkeit zu gestalten – das Recht ist aber auch die Gewähr hierfür", betonte DAV-Hauptge­schäfts­führerin Sylvia Ruge. DAV-Präsidentin Edith Kindermann erklärte mit Blick auf die 17 Nachhal­tig­keitsziele der UN: "Diese Ziele können nur mit dem Recht erreicht werden. Das Recht – nicht Gewalt, nicht Wirtschaftsmacht – ist der Weg, und das Recht ist der Maßstab unseres Handelns." Die Rolle der Anwalt­schaft dabei sei mindestens eine doppelte: in Form der Begleitung der Gesetz­gebung sowie der Umsetzung in der Gesell­schaft.

DAV fordert Digita­li­sie­rungsschub in der Justiz und rasche RVG-Anpassung

Zentraler Bestandteil der Nachhal­tigkeits-Debatte ist laut dem DAV der notwendige Digita­li­sie­rungsschub in der Justiz. Gerichtliche Druckstraßen für Schriftsätze, die die Anwalt­schaft digital einreichen muss, verschwendeten Zeit, Energie und Ressourcen. "Die digitale Transfor­mation der Arbeits­abläufe bei Gericht darf nicht bis zum 01.01.2026 – wenn die E-Akte für die Justiz zwingend wird – ausgesessen werden", mahnt Ruge. Die Anwalt­schaft sei mit dem beA in Vorleistung gegangen. DAV-Präsidentin Edith Kindermann betonte in ihrer Ansprache zudem die Notwen­digkeit einer zeitnahen Anpassung des Rechtsan­walts­ver­gü­tungs­ge­setzes (RVG). Damit die Anwalt­schaft ihren elementaren Beitrag zum Rechtsstaat leisten kann, bedürfe es einer angemessenen Vergütung. Damit stieß sie beim Bundes­jus­tiz­mi­nister auf offene Ohren: "Ich bin zuversichtlich, dass Bund und Länder eine gute Lösung finden werden für die auch ökonomische Unabhän­gigkeit der Anwalt­schaft", so Marco Buschmann (FDP) – auch in Richtung der Hessischen und Rheinland-Pfälzischen Justiz­mi­nister.

Bundes­jus­tiz­mi­nister setzt auf Unabhän­gigkeit der Anwalt­schaft

Der Bundes­jus­tiz­mi­nister setzte den Schwerpunkt seiner Rede auf die Unabhän­gigkeit der Anwalt­schaft: "Ohne unabhängige Anwalt­schaft kann es keinen zukunfts­fähigen und damit nachhaltigen Rechtsstaat geben." Auch dem Prinzip der Selbst­ver­waltung komme eine wichtige Rolle zu – Bürger­rechte zu vertreten funktioniere so eben besser als unter staatlicher Aufsicht. Buschmann widmete sich auch den umstrittenen Plänen der EU zur Chatkon­trolle – ein Thema, das auch der DAV seit Langem kritisch begleitet: "Das Briefge­heimnis gilt auch in der digitalen Welt." Gegenstand der Kritik ist die geplante anlasslose Massen­über­wachung digitaler Kommuni­kation unter dem Deckmantel des Kinder­schutzes.

Barley: Sicherung der Werte als Aufgabe der Anwalt­schaft

Die Vizeprä­si­dentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley (SPD), beschwor in ihrer Festrede die Resilienz des Rechts­staats, der sich auf EU-Ebene immer öfter auch gegen Angriffe von innen wappnen müsse – mit Blick etwa auf Polen und Ungarn. "Ich möchte nicht in einer Gesell­schaft von Wölfen leben", betont sie. "Wir müssen uns klar positio­nieren für Demokratie und Rechts­staat­lichkeit." Und sie zeigte sich überzeugt: "Die Sicherung des Rechts und unserer Grundwerte liegt auch in den Händen der Anwalt­schaft."

DAV wehrt sich gegen Sippenhaft mit Klimasündern

Zum Auftakt des diesjährigen DAT nahmen sich die Rechtsexpertinnen und -experten sodann zunächst dem wohl am meisten polarisierenden Thema des Jahres an: den Klimaprotesten der Letzten Generation. Die rechts­po­li­tischen Sprecherinnen und Sprecher der Bundes­tags­frak­tionen nahmen insbesondere die Strafbarkeit von Straßen­blo­ckaden in den Blick. Einen gesetz­ge­be­rischen Handlungs­bedarf sahen die Anwesenden jedoch nicht. Im Vorfeld des DAT hatte DAV-Hauptge­schäfts­führerin Ruge der bisweilen geäußerten Forderung, Anwältinnen und Anwälte sollten ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten, indem sie die Beratung und Vertretung von "Klimasündern" ablehnen, eine klare Absage erteilt: "In einem Rechtsstaat mit freier Anwalt­schaft kann diese Frage ausschließlich Gegenstand einer indivi­duellen Entscheidung sein – beide Richtungen sind legitim. Jeder Mensch und jede Organi­sation hat in diesem Land das Recht, sich anwaltlich beraten und vertreten zu lassen. Es gibt keine Sippenhaft." Die persönliche Entscheidung, ein solches Mandat abzulehnen, sei durch das Berufsrecht ohnehin geschützt: Es gebe keinen Kontra­hie­rungszwang. "Der DAV wird beiden Lagern stets den Rücken freihalten", betont Ruge. Weitere strafrechtliche Themen waren die Audiodo­ku­men­tation des Strafpro­zesses, die Abwägung von Freiheits­rechten gegen IP-Speicherung und anstehende Strafrechts­re­formen.

DAV fordert Reform des Famili­enrechts und gründet neue AG im Betreuungsrecht

Anlässlich des DAT kritisierte der DAV außerdem die Verschleppung überfälliger Reformen im Famili­enrecht. Sei es im Abstam­mungsrecht, im Unterhaltsrecht, oder im Kindschaftsrecht – trotz entspre­chender Ankündi­gungen ließen die Reformen auf sich warten. Insofern forderte der DAV eine nachhaltige – im Sinne von: im Zusammenhang durchdachte – Famili­en­rechts­reform. Insbesondere das Unterhaltsrecht benötige eine zeitnahe General­über­holung. Diese müsse nicht nur eine klare Regelung für paritä­tische Betreu­ungs­formen enthalten, sondern auch die Mängel des Ehegat­ten­un­terhalts insgesamt in den Blick nehmen. Des Weiteren nahm der DAV das zu Beginn des Jahres 2023 in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zum Anlass, während des diesjährigen DAT eine neue Arbeitsgemeinschaft ins Leben zu rufen. Diese soll sich sowohl mit dem Betreuungs- als auch mit dem Vorsorgerecht befassen. "Die dringend notwendige Gesetzesänderung hat uns erneut vor Augen geführt, welche Bedeutung das Betreuungsrecht für viele Menschen hat; nichts anderes gilt für das Vorsorge- und Unterbringungsrecht", erinnerte Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Thomas von Plehwe, Vorstandsmitglied des DAV. An einer eigenen Plattform für den Austausch, die Fortbildung und die Vernetzung von im Betreuungs- und Vorsorgerecht tätigen Anwältinnen und Anwälten habe es bislang gefehlt. "Das wird sich nun ändern", so von Plehwe.

Preise für herausragende Leistungen

Mit dem Eh­ren­zei­chen der Deut­schen An­walt­schaft wurden beim diesjährigen DAT Her­mann Pla­ge­mann, Gün­ter Schma­ler und Chris­ti­ne Theo­bald-Frick ausgezeichnet. Das Eh­ren­zei­chen wird seit 1980 durch den DAV an Rechts­an­wäl­tin­nen und Rechts­an­wäl­te ver­lie­hen, die sich in be­son­de­rem Maße um den Be­rufs­stand ver­dient ge­macht haben. Die Müns­te­ra­ner Rechts­an­wäl­tin Mech­tild Dü­sing bekam die Hans-Dahs-Pla­ket­te verliehen. Die Pla­ket­te wird seit 1973 an Rechts­an­wäl­tin­nen und Rechts­an­wäl­te ver­lie­hen, die sich glei­cher­ma­ßen um die An­walt­schaft und um ihre Ver­bin­dung zur Wis­sen­schaft ver­dient ge­macht haben.

Nachhaltiger Anwaltstag – der Weg ist das Ziel

Ein Anwaltstag unter dem thematischen Dach der Nachhal­tigkeit bringt natürlich auch den Anspruch einer entspre­chenden organi­sa­to­rischen Umsetzung mit sich. Einiges habe sich bereits in den letzten Jahren etabliert, etwa der ausschließlich digitale Anmelde- und Abrech­nungs­prozess, so der DAV. Vieles sei in diesem Jahr jedoch neu gewesen: die Kooperation mit der Deutschen Bahn über das Veranstal­tungs­ticket, der Shuttlebus statt der PKW-Flotte und die rein digitalen Versionen von Handakten und Presse­mappen. Ab dem kommenden Jahr sollen auch die Tageszei­tungen für die Teilneh­menden nur noch online bereit­ge­stellt werden. "Es gibt immer noch Verbes­se­rungs­po­tenzial, aber wir sind auf einem guten Weg", so Hauptge­schäfts­führerin Ruge.

Redaktion beck-aktuell, 19. Juni 2023.