Nachhaltigkeit: Sowohl Ermittlungsauftrag als auch Lösungsanspruch
"Mit Recht nachhaltig" – darin steckten gleichermaßen ein Ermittlungsauftrag und ein Lösungsanspruch, so der Deutsche Anwaltverein (DAV) zum Motto des diesjährigen DAT. Fast jedes Rechtsgebiet könne Aspekte beisteuern: Wie stehe es beispielsweise um die Strafbarkeit von Klimaprotesten, den Umweltschutz bei Infrastrukturmaßnahmen, die Zulässigkeit von Werbeversprechen? Wie nachhaltig könne Gesetzgebung im IT-Recht sein? Und seien Vereinbarungen per Mediation nachhaltiger als Gerichtsurteile? "Das Recht steht vor der Herausforderung, die Rahmenbedingungen für Nachhaltigkeit zu gestalten – das Recht ist aber auch die Gewähr hierfür", betonte DAV-Hauptgeschäftsführerin Sylvia Ruge. DAV-Präsidentin Edith Kindermann erklärte mit Blick auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN: "Diese Ziele können nur mit dem Recht erreicht werden. Das Recht – nicht Gewalt, nicht Wirtschaftsmacht – ist der Weg, und das Recht ist der Maßstab unseres Handelns." Die Rolle der Anwaltschaft dabei sei mindestens eine doppelte: in Form der Begleitung der Gesetzgebung sowie der Umsetzung in der Gesellschaft.
DAV fordert Digitalisierungsschub in der Justiz und rasche RVG-Anpassung
Zentraler Bestandteil der Nachhaltigkeits-Debatte ist laut dem DAV der notwendige Digitalisierungsschub in der Justiz. Gerichtliche Druckstraßen für Schriftsätze, die die Anwaltschaft digital einreichen muss, verschwendeten Zeit, Energie und Ressourcen. "Die digitale Transformation der Arbeitsabläufe bei Gericht darf nicht bis zum 01.01.2026 – wenn die E-Akte für die Justiz zwingend wird – ausgesessen werden", mahnt Ruge. Die Anwaltschaft sei mit dem beA in Vorleistung gegangen. DAV-Präsidentin Edith Kindermann betonte in ihrer Ansprache zudem die Notwendigkeit einer zeitnahen Anpassung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG). Damit die Anwaltschaft ihren elementaren Beitrag zum Rechtsstaat leisten kann, bedürfe es einer angemessenen Vergütung. Damit stieß sie beim Bundesjustizminister auf offene Ohren: "Ich bin zuversichtlich, dass Bund und Länder eine gute Lösung finden werden für die auch ökonomische Unabhängigkeit der Anwaltschaft", so Marco Buschmann (FDP) – auch in Richtung der Hessischen und Rheinland-Pfälzischen Justizminister.
Bundesjustizminister setzt auf Unabhängigkeit der Anwaltschaft
Der Bundesjustizminister setzte den Schwerpunkt seiner Rede auf die Unabhängigkeit der Anwaltschaft: "Ohne unabhängige Anwaltschaft kann es keinen zukunftsfähigen und damit nachhaltigen Rechtsstaat geben." Auch dem Prinzip der Selbstverwaltung komme eine wichtige Rolle zu – Bürgerrechte zu vertreten funktioniere so eben besser als unter staatlicher Aufsicht. Buschmann widmete sich auch den umstrittenen Plänen der EU zur Chatkontrolle – ein Thema, das auch der DAV seit Langem kritisch begleitet: "Das Briefgeheimnis gilt auch in der digitalen Welt." Gegenstand der Kritik ist die geplante anlasslose Massenüberwachung digitaler Kommunikation unter dem Deckmantel des Kinderschutzes.
Barley: Sicherung der Werte als Aufgabe der Anwaltschaft
Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley (SPD), beschwor in ihrer Festrede die Resilienz des Rechtsstaats, der sich auf EU-Ebene immer öfter auch gegen Angriffe von innen wappnen müsse – mit Blick etwa auf Polen und Ungarn. "Ich möchte nicht in einer Gesellschaft von Wölfen leben", betont sie. "Wir müssen uns klar positionieren für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit." Und sie zeigte sich überzeugt: "Die Sicherung des Rechts und unserer Grundwerte liegt auch in den Händen der Anwaltschaft."
DAV wehrt sich gegen Sippenhaft mit Klimasündern
Zum Auftakt des diesjährigen DAT nahmen sich die Rechtsexpertinnen und -experten sodann zunächst dem wohl am meisten polarisierenden Thema des Jahres an: den Klimaprotesten der Letzten Generation. Die rechtspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Bundestagsfraktionen nahmen insbesondere die Strafbarkeit von Straßenblockaden in den Blick. Einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sahen die Anwesenden jedoch nicht. Im Vorfeld des DAT hatte DAV-Hauptgeschäftsführerin Ruge der bisweilen geäußerten Forderung, Anwältinnen und Anwälte sollten ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten, indem sie die Beratung und Vertretung von "Klimasündern" ablehnen, eine klare Absage erteilt: "In einem Rechtsstaat mit freier Anwaltschaft kann diese Frage ausschließlich Gegenstand einer individuellen Entscheidung sein – beide Richtungen sind legitim. Jeder Mensch und jede Organisation hat in diesem Land das Recht, sich anwaltlich beraten und vertreten zu lassen. Es gibt keine Sippenhaft." Die persönliche Entscheidung, ein solches Mandat abzulehnen, sei durch das Berufsrecht ohnehin geschützt: Es gebe keinen Kontrahierungszwang. "Der DAV wird beiden Lagern stets den Rücken freihalten", betont Ruge. Weitere strafrechtliche Themen waren die Audiodokumentation des Strafprozesses, die Abwägung von Freiheitsrechten gegen IP-Speicherung und anstehende Strafrechtsreformen.
DAV fordert Reform des Familienrechts und gründet neue AG im Betreuungsrecht
Anlässlich des DAT kritisierte der DAV außerdem die Verschleppung überfälliger Reformen im Familienrecht. Sei es im Abstammungsrecht, im Unterhaltsrecht, oder im Kindschaftsrecht – trotz entsprechender Ankündigungen ließen die Reformen auf sich warten. Insofern forderte der DAV eine nachhaltige – im Sinne von: im Zusammenhang durchdachte – Familienrechtsreform. Insbesondere das Unterhaltsrecht benötige eine zeitnahe Generalüberholung. Diese müsse nicht nur eine klare Regelung für paritätische Betreuungsformen enthalten, sondern auch die Mängel des Ehegattenunterhalts insgesamt in den Blick nehmen. Des Weiteren nahm der DAV das zu Beginn des Jahres 2023 in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zum Anlass, während des diesjährigen DAT eine neue Arbeitsgemeinschaft ins Leben zu rufen. Diese soll sich sowohl mit dem Betreuungs- als auch mit dem Vorsorgerecht befassen. "Die dringend notwendige Gesetzesänderung hat uns erneut vor Augen geführt, welche Bedeutung das Betreuungsrecht für viele Menschen hat; nichts anderes gilt für das Vorsorge- und Unterbringungsrecht", erinnerte Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Thomas von Plehwe, Vorstandsmitglied des DAV. An einer eigenen Plattform für den Austausch, die Fortbildung und die Vernetzung von im Betreuungs- und Vorsorgerecht tätigen Anwältinnen und Anwälten habe es bislang gefehlt. "Das wird sich nun ändern", so von Plehwe.
Preise für herausragende Leistungen
Mit dem Ehrenzeichen der Deutschen Anwaltschaft wurden beim diesjährigen DAT Hermann Plagemann, Günter Schmaler und Christine Theobald-Frick ausgezeichnet. Das Ehrenzeichen wird seit 1980 durch den DAV an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte verliehen, die sich in besonderem Maße um den Berufsstand verdient gemacht haben. Die Münsteraner Rechtsanwältin Mechtild Düsing bekam die Hans-Dahs-Plakette verliehen. Die Plakette wird seit 1973 an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte verliehen, die sich gleichermaßen um die Anwaltschaft und um ihre Verbindung zur Wissenschaft verdient gemacht haben.
Nachhaltiger Anwaltstag – der Weg ist das Ziel
Ein Anwaltstag unter dem thematischen Dach der Nachhaltigkeit bringt natürlich auch den Anspruch einer entsprechenden organisatorischen Umsetzung mit sich. Einiges habe sich bereits in den letzten Jahren etabliert, etwa der ausschließlich digitale Anmelde- und Abrechnungsprozess, so der DAV. Vieles sei in diesem Jahr jedoch neu gewesen: die Kooperation mit der Deutschen Bahn über das Veranstaltungsticket, der Shuttlebus statt der PKW-Flotte und die rein digitalen Versionen von Handakten und Pressemappen. Ab dem kommenden Jahr sollen auch die Tageszeitungen für die Teilnehmenden nur noch online bereitgestellt werden. "Es gibt immer noch Verbesserungspotenzial, aber wir sind auf einem guten Weg", so Hauptgeschäftsführerin Ruge.