Mit Paragrafen gegen Fluten: Pellwormer Familie verklagt Regierung

Die Regierung in Berlin lässt sich Zeit beim Klimaschutz - und so den Meeresspiegel weiter steigen. Eine Familie aus Pellworm, die ihre Existenz durch den Klimawandel bedroht sieht, hat deshalb eine Klimaklage beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht.

Klimawandel bedroht Existenz auf Pellworm

Der Deich, er ist für die Nordsee-Insel Pellworm eine Art Lebensversicherung. Ein paar Hundert Meter dahinter steht ein rotes Backsteinhaus, der Weg zur Tür ist von Narzissen und Sträuchern gesäumt. Hier sind Silke Backsen, ihr Mann Jörg und ihre Kinder Sophie, Paul, Hannes und Jakob zu Hause. Als Bio-Bauern züchten sie Rinder, halten Schafe und bauen Getreide an. Der Hof liegt rund einen Meter unter dem Meeresspiegel. Steigt dieser durch den Klimawandel an, tritt das Wasser eines Tages wohl über den Deich - und alles läuft voll wie eine Badewanne. "Wir stehen an einem Scheideweg", sagt Silke Backsen. "Ein weiteres Geradeaus wird es nicht mehr geben." 

Weltklimarat prognostiziert erheblichen Anstieg des Meeresspiegels

Klimaforscher geben ihr Recht. Der Weltklimarat prognostiziert, dass der Meeresspiegel Ende des Jahrhunderts bis zu 77 Zentimeter höher liegen dürfte als Ende des vorherigen Jahrhunderts - und das ist schon eines der optimistischen Szenarien. Auch Stürme und Hitze dürften zunehmen.

Klimaschutz bislang zu ineffektiv

Damit Menschen wie die Backsens nicht ihre Existenzgrundlage verlieren, müssten drastische Klimaschutzmaßnahmen her. Und nicht nur dafür. Das haben zwar viele in Deutschland erkannt - doch große, effektive Schritte lassen bislang auf sich warten. 40 Prozent weniger Ausstoß des klimaschädlichen Gases CO2 als 1990 - so lautete lange das Ziel, das von mehreren Bundesregierungen bekräftigt wurde. Je näher 2020 nun kommt, desto seltener wird dieses Ziel erwähnt. Stattdessen bekennt man sich zu einem neuen Ziel für 2030, denn das Datum liegt noch beruhigend weit in der Ferne.

Kläger berufen sich auf ihre Grundrechte

Die Backsens wollen das nicht akzeptieren. Gemeinsam mit zwei anderen Biobauern-Familien und der Organisation Greenpeace verklagen sie die Regierung. Ihr Vorwurf: Liebe Politiker, ihr haltet eure Versprechen nicht. Ihr schweigt das für 2020 versprochene Klimaziel am liebsten tot. Die Kläger sehen ihre Grundrechte auf Schutz von Leben und Gesundheit (Art. 2 GG), auf Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und auf Eigentum (Art. 14 GG) verletzt.

Greenpeace unterstützt Kläger

"Die deutsche Regierung soll nicht mit ihrem Nichtstun davonkommen", sagt Anike Peters, die bei Greenpeace die Klage betreut. Ihre Mission braucht Idealismus und viel Geduld. Peters hat Halligen und Inseln abgeklappert, mit etlichen Landwirten vom Festland gesprochen. Mit rund 100 potenziellen Klägern war sie in Kontakt, bis sie die drei Familien traf, die "Ja" sagten. Ist das Instrumentalisierung? "Das sehe ich nicht so. Alle Kläger wollten aus freien Stücken klagen. Wir ermöglichen das, denn wir haben die finanziellen Mittel, die Ressourcen und das fachliche Know-how."

Warten auf Entscheidung des VG Berlin

Seit sie vor einigen Monaten die Klageschrift beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht haben, warten die Kläger. Die Regierung hat das Umweltministerium für zuständig erklärt, eine Kanzlei beauftragt und sich bereits zweimal mehr Zeit erbeten. "Die Klimaschutzanstrengungen Deutschlands haben zwar Fortschritte gebracht, aber noch nicht zum Erreichen unserer Ziele geführt. Uns eint also dasselbe Ziel", heißt es auf Anfrage aus dem Umweltministerium. Ob die Klage inhaltlich begründet sei, wolle man den Gerichten überlassen. Nachdem beide Seiten sich schriftlich ausgetauscht haben, wird das Gericht entscheiden: Ist die Klage überhaupt zulässig? Wird es eine Verhandlung geben?

Stellvertretender SPD-Fraktionschef: Politik wird wachgerüttelt

Aus Berlin, rund 450 Kilometer südöstlich, kommt Rückenwind für die Backsens. Matthias Miersch sitzt als stellvertretender Fraktionschef der SPD im Bundestag. "Wir brauchen gesellschaftspolitisches Engagement, das Politik unter Druck setzt", meint er. "Es ist ein Weg, der wachrüttelt. Genauso wie die Fridays-for-Future-Bewegung." Allerdings sagt er auch: "Es ist nie gut, wenn Gerichte die Entscheidungen von Regierenden und Gesetzgebern treffen müssen."

Umweltrechtler: Klimaklage falscher Weg

Familie Backsen & Co. als Retter des Rechtsstaats? Nicht alle halten das für eine gute Idee. Der Umweltrechtler Bernhard Wegener von der Uni Erlangen-Nürnberg ist eigentlich bekannt dafür, dass er sich für Klagerechte der Umweltverbände einsetzt. Aber als man ihn zu einer Klimaklage überreden wollte, war ihm klar: Das ist der falsche Weg. "Die mit den Klimaklagen angestrebte Weltrettung per Gerichtsbeschluss ist juristisch schwer begründbar, im Ergebnis illusorisch und wenigstens potentiell gefährlich", argumentiert der 54-Jährige in der "Zeitschrift für Umweltrecht". Wenn Klimakläger Erfolg hätten, müssten Gerichte die Politik in die Schranken weisen und konkrete Ansagen zum Klimaschutz machen. Doch mit dieser "Menschheitsaufgabe" wären sie maßlos überfordert, meint Wegener.

Nichtbeachtung von Klimaurteilen bliebe sanktionslos und würde Rechtsstaat untergraben

"Gerichte leben davon, dass ihre Urteile beachtet werden", sagt der Jurist. Aber was sollte ein Gericht tun, wenn ein Klima-Urteil nicht eingehalten wird? "Es kann nicht die Zeit zurückdrehen und auch nicht die Klimapolizei rufen", urteilt er. Die Befürchtung: Je mehr Urteile nicht eingehalten werden, desto mehr wird das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat schwinden. Ob dies extremen Parteien Zulauf bescheren oder zu Verdrossenheit führen würde, ist schwer vorherzusagen. Doch ohne Vertrauen in den Rechtsstaat keine Demokratie.

Erfolg der Klimaklage unwahrscheinlich

Was würde geschehen, wenn die Backsens und ihre Mitstreiter Recht bekämen? Greenpeace hat hohe Erwartungen: Im besten Fall müsste die Bundesregierung dazu verpflichtet werden, alles Mögliche zu tun, um das Klimaziel für 2020 doch noch zu erreichen. Jakob Backsen hätte dazu auch Ideen, etwa den sofortigen Kohleausstieg zu beschließen. Doch dass die Klage Erfolg hat, halten Juristen wie Wegener für unwahrscheinlich. Der Knackpunkt: Es müsste nachweisbar sein, dass die Grundrechte der Kläger durch das Unterlassen staatlicher Maßnahmen verletzt werden. Strittig ist dabei nicht, ob Schutzmaßnahmen erlassen wurden - sondern nur, ob sie ausreichend effektiv sind. Das dürfte schwer nachzuweisen sein.

Redaktion beck-aktuell, Larissa Schwedes, 4. Juni 2019 (dpa).

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