Ministerium für Digitales und Staatsmodernisierung: Flickenteppich, Mosaik oder Gesamtkunstwerk?
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Ein neues Ministerium soll den Staat endlich auf die Höhe der Digitalisierung bringen und bekommt dazu viel Macht. Doch sein Erfolg hängt davon ab, ob es eine echte Vision für seine Rolle entwickeln kann, meint Marie Herberger.

Nun ist das von vielen herbeigesehnte und eingeforderte Digitalministerium in Gestalt des Ministeriums für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS) endlich Realität geworden. Mit dem Organisationserlass vom 6. Mai 2025 hat der Bundeskanzler – wie im Koalitionsvertrag vorgesehen – dieses Ministerium geschaffen und ihm aus dem Bestand anderer Ministerien zahlreiche sehr weitreichende Aufgaben zugewiesen. In der Summe erwecken diese Zuweisungen den Eindruck, dass man hier ein herausragendes Schlüsselministerium mit einer überwölbenden Aufgabenstellung und Kompetenz schaffen wollte. Man erkennt dies bereits daran, dass dem BMDS aus dem Bundeskanzleramt die Zuständigkeiten für

zugewiesen wurden. Die besondere Stellung des BMDS ist auch daran erkennbar, dass der Bundeskanzler ihm die Zuständigkeit für einen Zustimmungsvorbehalt für alle wesentlichen IT-Ausgaben der unmittelbaren Bundesverwaltung, wenn auch mit einigen Ausnahmen, überträgt.

Suche nach dem geistigen Band, das alle Kompetenzen verbindet

Der schnelle Arbeitsbeginn durch das neue Ministerium konnte wohl unter Zeitdruck letzten Endes nicht anders realisiert werden als durch die im Organisationserlass gewählte Methode. Daraus ergibt sich allerdings ein konzeptuelles Folgeproblem. Man hat nun alle Teile in der Hand und muss nach dem geistigen Band suchen, das diese Teile zusammenhält. Das Konzept der Digitalisierung und Modernisierung alleine kann diese Aufgabe nicht erfüllen. Es gilt vielmehr, auf übergeordneter theoretischer Ebene gemeinsame Eigenschaften der zunächst isolierten Zuständigkeiten herauszuarbeiten. Die Webseite des BMDS könnte der geeignete Ort sein, dieses Selbstverständnis schrittweise zu erarbeiten und zu arrondieren.

Für die Zukunft des neu geschaffenen Ministeriums stellt sich des Weiteren die Frage, ob es nicht zu Schwierigkeiten führen wird, attraktive Zuständigkeiten aus anderen Ministerien herauszulösen und dem neuen Haus entscheidende Mitsprache bei wesentlichen IT-Ausgaben einzuräumen. Die Konstruktion hat schließlich das Potential für Rivalitäten. Insofern wird Entscheidendes davon abhängen, ob das neue Ministerium dieser Problematik in einer kohärenten Gesamtbeschreibung seiner Tätigkeitsbereiche und der damit verbundenen Praxis vorbeugen kann.

"Neue Verwaltungskultur" statt "Silodenken" – Stoff für Konflikte?

Dass hier zwei unterschiedliche Konzeptionen aufeinandertreffen, ist bereits der Aufgabenbeschreibung des BMDS auf seiner Webseite zu entnehmen: "Das BMDS versteht sich als Treiber einer neuen Verwaltungskultur, wir wollen Silodenken überwinden. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten in interdisziplinären, abteilungsübergreifenden Teams mit agilen Methoden – jenseits der klassischen Ministerialstrukturen."

Die hier zum Ausdruck kommende Entgegensetzung ist so antagonistisch geprägt, dass klassische Ministerien sie als Herabsetzung empfinden müssen. Schließlich ist "Silodenken" laut dem Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache eine abwertende Bezeichnung für "geistige Einstellung oder Verhalten, die bzw. das sich nur an den eigenen Befindlichkeiten und Interessen ausrichtet und sich von anderen (Gruppen) abgrenzt". Bei aller notwendigen Kritik an überholten, älteren Organisations- und Führungsstilen wird man mit dieser Charakterisierung der bewährten Arbeitsweise in den Bundesministerien nicht gerecht. Außerdem gewinnt das Werben für vorzugswürdige agile Arbeitsformen dann eine höhere Akzeptanz, wenn es nicht von vornherein antagonistisch vorgetragen wird.

Rechtspolitik im BMDS: Bessere Gesetze und Bürokratieabbau

Alle dem BMDS zugeordneten Handlungsfelder haben einen notwendigen Bezug zu dem Recht, das sie prägt. Es ist deswegen folgerichtig, dass der Organisationserlass an zwei Stellen Arbeitsaufträge mit explizitem Blick auf das Recht zum Ausdruck bringt. Es handelt sich einmal um die Zuständigkeit für "europäische und nationale bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau". Hinzu tritt die Zuständigkeit für die "Geschäftsstelle für Bürokratieabbau, für bessere Rechtssetzung und für den Nationalen Normenkontrollrat sowie die federführende Umsetzung des EU-AI-Acts in Deutschland".

An der Zuständigkeit für "bessere Rechtsetzung" zeigt sich, dass noch Folgearbeit notwendig sein wird. Der Prozess der Rechtsetzung betrifft nämlich nur die Vorbereitungsphase eines Gesetzes. Nach der Verkündung des Gesetzes stellt sich aber noch die Frage, wie die Gesetze elektronisch für die Öffentlichkeit abgebildet werden. Es gibt diesbezüglich gegenwärtig das Angebot "Gesetze im Internet". Herausgeber ist – laut Impressum – die "Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister der Justiz". Die Redaktion liegt beim "Bundesamt für Justiz - Kompetenzzentrum Rechtsinformationssystem des Bundes". Diese Sachlage hat die Konsequenz, dass ein erster Teil der Gesetzeserarbeitung bis zur Schwelle der Publikation im Bundesgesetzblatt mit einem Unterstützungsauftrag für das BMDS verbunden ist, während die anschließende Publikation samt datenbankmäßiger Verortung beim BMJV und dem Bundesamt für Justiz angesiedelt ist. Damit wird eine einheitliche Prozesskette – was die Digitalisierung angeht – in unzweckmäßiger Weise an einer Stelle unterbrochen und zwei verschiedenen Ministerien zugewiesen.

Was die Zuständigkeit für den Bürokratieabbau betrifft, verspricht das BMDS auf seiner Webseite, was die "Staatsmodernisierung" angeht, "noch dieses Jahr spürbare Entlastungen": "20 Prozent der Verwaltungsvorschriften des Bundes fallen weg". Wenn dieses Ziel erreicht werden kann, ist dies sicherlich "ein wichtiger Schritt hin zu einem Staat, der schneller, schlanker und wirkungsvoller arbeitet". Man ist geneigt, im digitalen Fristenkalender eine Wiedervorlage für den 31. Dezember 2025 einzutragen. Außerdem ist an dieser Stelle zu beachten, dass man vor dem Streichen von Vorschriften immer analysieren muss, auf welche anderen Vorschriften diese verweisen und welche anderen Vorschriften ihrerseits auf die für die Streichung vorgesehenen Vorschriften verweisen. An diesem Beispiel zeigt sich erneut, dass es Arbeiten an Vorschriften gibt, die eine bestimmte Datenbankstruktur voraussetzen.

Digitalisierung allein schafft kein Vertrauen

Das anspruchsvollste Ziel des BMDS kommt in folgender Selbstbeschreibung auf der Webseite zum Ausdruck: "Ein neues Digitalministerium ist kein Selbstzweck, sondern die Chance, die Transformation zu einem modernen, effizienten und digital handlungsfähigen Staat voranzutreiben. Wir wollen Vertrauen zurückgewinnen. Für Bürgerinnen, Bürger und Wirtschaft bedeutet das: weniger Bürokratie, mehr Service, schnellere Entscheidungen – ein wirklich spürbarer digitaler Fortschritt."

Es ist sicherlich richtig, dass Bürgerinnen und Bürger bei gelungener Digitalisierung Vertrauen zum Staat insofern entwickeln, als sie ihm die kompetente Umsetzung von sie betreffenden Prozessen in eine digitale Form zutrauen und den Umgang damit zu schätzen wissen. Dabei darf man allerdings nicht übersehen, dass Staatsvertrauen im tieferen Sinne davon abhängt, dass die der Digitalisierung zugrunde liegenden rechtlichen Inhalte als angemessen und gerecht empfunden werden. Zugespitzt ausgedrückt: Auch ein als ungerecht empfundenes Recht kann perfekt digitalisiert werden. Die Digitalisierung generiert keinen eigenen Wertekatalog. Diese normative Inhaltsverantwortung ist eine Aufgabe aller Staatsorgane.

Prof. Dr. Marie Herberger, LL.M. ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht, Methodenlehre, Recht der Digitalisierung und Legal Tech an der Universität Bielefeld.

Prof. Dr. Marie Herberger, 14. Mai 2025.

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