Der Kanzleisitz des AfD-Europaabgeordneten Maximilian Krah
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© Carsten Koall / dpa

Der frisch gekürte AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, der dem offiziell aufgelösten Ex-"Flügel" von Björn Höcke zugerechnet wird, ist nach eigenen Angaben Rechtsanwalt. Nachfragen am angegebenen Kanzleisitz von Maximilian Krah führen aber zu erstaunlichen Erkenntnissen.

Das bundesweite amtliche Anwaltsregister (s. www.rechtsanwaltsregister.org) ist das offizielle, für alle Gerichte, Behörden und Verbraucher verbindliche amtliche Verzeichnis der in Deutschland zugelassenen Anwältinnen und Anwälte. Was dort steht, darauf darf man sich verlassen. Es wird täglich aktualisiert.

Sucht man in diesem Verzeichnis nach dem gerade gewählten Spitzenkandidaten der AfD für die Europawahl, Dr. Maximilian Krah, der als seine Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" angibt, dann findet man ihn nicht in Dresden, wo er lebt, sondern mit dem Kanzleisitz bei der Kanzlei Solutio Schneider Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Biberach an der Riß in Baden-Württemberg (Stand: 18.8.2023). Dort ist auch seine, seinen Namen enthaltende, auf die Kanzlei-Domain endende Mailadresse in der Kanzlei hinterlegt, als Kanzleinamen findet man die GmbH vermerkt. Das Anwaltsverzeichnis erweckt ganz eindeutig den Eindruck, dass Krah Mitglied der Anwalts-GmbH sei.

Kanzleichef: "Krah kein Mitarbeiter/Angestellter und bearbeitet hier auch keine Mandate"

Auf der Homepage der Kanzlei (www.solutio-schneider.de) taucht der AfD-Politiker dagegen nicht auf.  Die Sozietät ist in der Region gut verankert, der Geschäftsführer Rechtsanwalt Armin Schneider ist unter anderem Repräsentant des Bundesverbands für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft in Oberschwaben. Da verwundert es, dass ein so exponierter AfD-Repräsentant dort Mitglied sein soll.

Hat das auch deren Geschäftsführer überrascht? Rechtsanwalt Armin Schneider gab auf Nachfrage der "Schwäbischen Zeitung" an, Krah sei ein langjähriger Bekannter von ihm, den er "beruflich veranlasst kennengelernt" habe. Wörtlich schrieb Schneider an die Zeitung: "Er ist kein Mitarbeiter/Angestellter unserer Kanzlei und bearbeitet hier auch keine Mandate." Auf Nachfrage der Schwäbischen Zeitung habe der Kanzleichef auch telefonisch bestätigt, dass Krah in seiner Kanzlei "null komma null aktiv" sei, Krah sei vermutlich auch noch nie in Biberach gewesen. Nach den Grundsätzen des anwaltlichen Berufsrechts gibt es eine solche Konstruktion nicht. Entweder ist man in einer Kanzlei tätig oder eben nicht.

Kein Anwalt ohne Kanzleisitz

Alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (1.1.2023: 163.478 natürliche Personen), die in Deutschland zugelassen sind, müssen gegenüber einer der 27 regionalen Rechtsanwaltskammern oder der Rechtsanwaltskammer beim BGH einen Kanzleisitz nachweisen. So sieht es § 27 BRAO vor. Eine Befreiung von dieser Pflicht ist gemäß § 29 BRAO nur in Ausnahmefällen möglich, etwa zur Vermeidung von Härten, das sind aber absolute Ausnahmefälle.

Unter dem Kanzleisitz versteht man, dass dort der Rechtsanwalt sein Büro unterhält und über diese Adresse erreichbar ist. So fordert es immer wieder der Anwaltssenat des BGH (zuletzt mit Beschluss vom 25.1.2023 - AnwZ (Brfg) 30/22, BeckRS 2023, 4177, mit Anmerkung Huff, BRAK-Mitt. 2023, 182, 184 und Anmerkung Dahns, NJW-Spezial 2023, 222). Post und Mails müssen ihn also erreichen und auch beantwortet werden. Man muss für telefonische Rückfragen zur Verfügung stehen.

Wenn man nicht sofort erreichbar ist, muss doch in angemessener Zeit, ich meine innerhalb von 2–3 Tagen, im Eilfall auch schneller, ein Rückruf erfolgen. Auch ein Rechtsanwalt, der ein Mandat nicht annehmen möchte, muss die Ablehnung unverzüglich erklären, so formuliert es § 44 BRAO. Geschieht dies nicht rechtzeitig, kann sich daraus eine Schadensersatzpflicht ergeben. Ob man vor Ort anwesend ist oder sich, wie z.B. als Strafverteidiger, oft nicht im Büro aufhält und die Arbeit von unterwegs oder aus dem Homeoffice erledigt, spielt dabei heute keine Rolle mehr.

Die Angaben zum Kanzleisitz muss der Rechtsanwalt selbst gegenüber der Rechtsanwaltskammer machen (s. dazu § 31 BRAO). Die Kammer trägt diese dann in das bundesweite amtliche Anwaltsregister ein - wie gesagt das offizielle Verzeichnis, auf das man sich verlassen darf.  

Es muss klar sein, ob man Mitglied einer Sozietät oder Einzelanwalt an derselben Adresse ist

Maximilian Krah scheint früher in einer Kanzlei in Dresden tätig gewesen zu sein, nach eigenen Angaben auf der Seite des Europäischen Parlaments von 2015 bis 2020 als Gründungspartner von Weiler Krah Petersen LLP, einer Anwaltskanzlei "mit Schwerpunkt auf juristischer und strategischer Beratung in Mittel- und Osteuropa, Dresden, Deutschland". Im Business-Netzwerk LinkedIn existiert ein Profil dieser Kanzlei, auf dem keine Aktivitäten erkennbar sind, laut Webseite ist die Kanzlei dauerhaft geschlossen. Ein Kanzleisitz in Biberach findet sich im Lebenslauf von Krah nicht.

Ein Kanzleisitz in Baden-Württemberg ist, wenn man seinen Lebensmittelpunkt in Dresden hat, sehr ungewöhnlich, wenn auch grundsätzlich möglich. Jeder Rechtsanwalt kann sich frei entscheiden, wo er seinen Kanzleisitz hat und sich auch einer Kanzlei anschließen.

Es muss nur deutlich werden, ob man Mitglied einer Kanzlei ist oder als Einzelanwalt tätig ist. Die Abgrenzung ist eigentlich einfach: Entweder tritt man unter der Sozietät auf oder man nutzt nur deren Adresse, sozusagen als Briefkasten. Ist man Mitglieder der Sozietät, dann ist man unter der Telefonnummer und der Mailanschrift der Kanzlei erreichbar. Nutzt man nur dieselbe Adresse, was immer wieder vorkommt, dann muss man eine eigene Telefonnummer und eine eigene Mailadresse angeben, damit es nicht zu Verwechslungen kommt.

Diese klare Trennung ist auch für Haftungsfragen entscheidend. Wer nur mit seiner eigenen Kanzleianschrift auftritt, ist nicht in die Verantwortung der Sozietät eingebunden und diese haftet auch nicht für ihn. Man ist also als Einzelanwalt unter der Adresse einer anderen Kanzlei tätig. Damit ist auch eine klare Trennung zwischen dem Einzelanwalt einerseits und der Kanzlei und allen anderen Berufsträgerinnen und Berufsträgern andererseits  gegeben. Jeder ist für sich selber verantwortlich.

Maximilian Krah aber tritt als Mitglied der Sozietät und nicht als Einzelanwalt auf. Nichts im Anwaltsregister deutet darauf hin, dass er in Biberach nicht Mitglied der Sozietät wäre, die er als seinen Kanzleisitz angibt.  

Rechtsanwaltskammer Tübingen will rasch Ermittlungen aufnehmen

Auf Nachfrage des Autors bei der Kanzlei Solutio Schneider, ob Krah Mitglied der Sozietät ist und wie es zu den Aussagen des Kanzleigeschäftsführers Armin Schneider in der Schwäbischen Zeitung kam, antwortete die Biberacher Kanzlei nicht selbst. Es meldete sich vielmehr die Kölner Kanzlei Höcker Rechtsanwälte, die die AfD und ihre Politikerinnen und Politiker in zahlreichen Verfahren vertritt.

Die Presserechtskanzlei teilte mit: "Obwohl Herr Krah nicht in den täglichen Kanzleibetrieb eingebunden ist, werden Post- und Maileingänge an ihn weitergeleitet, Anrufe durchgestellt und Rückrufnotizen erstellt und weitergegeben." Maximilian Krah selbst hat Fragen des Autors zu dem Sachverhalt bis zum Erscheinen dieses Artikels nicht beantwortet.

Unterstellt man die Aussage der Kanzlei Höcker als richtig, dann ist Krah doch Mitglied der AnwaltsGmbH. Dann wären die Angaben von deren Geschäftsführer Armin Schneider gegenüber der Schwäbischen Zeitung schlicht falsch gewesen. Vielleicht wurde man sich erst nach Recherchen in Biberach bewusst, wer da für die Kanzlei tätig ist. Doch irgendjemand muss ja zumindest die Mailadresse für Krah beauftragt haben. Und dass man nicht wusste, wer da unter dem Label der Anwalts-GmbH auftreten kann, ist nur schwer vorstellbar.

Die für diese Fragen zuständige Rechtsanwaltskammer Tübingen, die über den Sachverhalt bereits informiert ist, wird rasch Ermittlungen aufnehmen. Krah wird ihr gegenüber klarstellen müssen, wo er denn nun als Rechtsanwalt zugelassen ist.

Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt in Singen (Hohentwiel) und ehemaliger Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln. Er veröffentlicht regelmäßig Fachbeiträge zu berufsrechtlichen Themen.

Redaktion beck-aktuell, Martin W. Huff, 18. August 2023.