Machtlos gegen Putins "Schattenflotte"
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Russlands Diktator Wladimir Putin verfügt über eine "Schattenflotte" von Schiffen, mit denen er den Boykott von Ölimporten umgeht und Unterseekabel auf dem Meeresgrund zerstört. Das Völkerrecht ist weitgehend machtlos.

Die EU und die Gemeinschaft der großen Industriestaaten (G 7) haben eine Vielzahl von Sanktionen gegen Russland eingeführt, um Machthaber Wladimir Putin von seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine abzubringen. So darf von dort kein Rohöl mehr nach Europa eingeführt werden – weder mittels Tankern noch per Pipeline. Doch eine "Schattenflotte" umgeht diesen Boykott, indem sie auf offener See den Rohstoff auf andere Schiffe umlädt, um dessen Herkunft zu verschleiern. Obendrein handelt es sich oft um nahezu baufällige Boote, die bei einem Zerbrechen die Umwelt verseuchen würden.

Zwei weitere Tricks: Die Tanker segeln unter Flaggen exotischer Staaten und schalten oft die Ortungssignale ihres Trackingsystems aus. Dazu kommt der Verdacht, dass sie mit ihren Ankern gezielt Strom- und Telekommunikationskabel oder Ölröhren auf dem Meeresgrund zerstören oder beschädigen (wenn dies nicht durch U-Boote geschieht). All dies gehört zu den Mitteln "hybrider Kriegsführung", mit denen der Moskauer Diktator den Westen spalten will, um ihn von seiner Unterstützung des überfallenen Nachbarlands abzubringen.

Kaum Eingriffsbefugnisse

Doch wie können europäische Staaten dagegen vorgehen? Die Befugnisse, die ihnen das See- und Völker(gewohnheits)recht verleihen, sind erschreckend gering. Das verdeutlichte die Juraprofessorin Sabine Schlacke von der Universität Greifswald am Donnerstag anhand von zwei konkreten Beispielen. Ihr frustriertes Fazit: "Es braucht ein mutiges Vorgehen, das die juristischen Grenzen ganz leicht überschreitet", sagte sie auf einer Veranstaltung der Bundesrechtsanwaltskammer in Berlin. Denn die beiden jüngsten Fälle waren nach ihrer Einschätzung womöglich von den maßgeblichen Regelwerken nicht gedeckt: dem UN-Seerechtsübereinkommen (SRÜ) und den Vorgaben der International Maritime Organization (IMO). Im deutschen Recht gibt es zusätzlich das Seeaufgabengesetz (SeeaufG).

Die Konflikte zeigten sich etwa bei den Vorkommnissen um die Öltanker "Eventin" und "Eagle S". Ersterer trieb Mitte des vergangenen Januars nach einem Stromausfall manövrierunfähig nördlich der Insel Rügen, sämtliche Systeme waren ausgefallen. Das unter Panama-Flagge fahrende Schiff soll, wie u.a. tagesschau.de meldete, knapp 100.000 Tonnen Öl an Bord gehabt haben, das auszutreten drohte. Daher wurde es von deutschen Schleppern in die Gewässer vor dem dortigen Stadthafen von Sassnitz gebracht, vom Zoll sichergestellt und eingezogen; die Crew wurde ausgetauscht. Schlacke, auch Direktorin des Instituts für Energie-, Umwelt- und Seerecht der Universität Greifswald, argwöhnt, dass die europäischen Behörden dabei internationales Recht verletzt hätten.

Diverse Leitungen beschädigt

Ähnlich der Fall "Eagle S": Ende Dezember vergangenen Jahres beschlagnahmte Finnland den Tanker, weil er mit seinem Anker mehrere Kabel in der Ostsee beschädigt haben soll. Die Vorgeschichte: Am ersten Weihnachtsfeiertag war eine Stromleitung zwischen dem nördlicheren Staat und Estland im Finnischen Meerbusen beschädigt worden; ebenso wurden an vier Kommunikationskabeln Schäden festgestellt – darunter an einer Glasfaserleitung zwischen Helsinki und Rostock, die bereits bei einem ähnlichen Vorfall im November beschädigt worden war. Nach Einschätzung der EU sowie finnischer Behörden gehört die auf den südpazifischen Cookinseln registrierte "Eagle S" zur russischen Schattenflotte.

Und ein ganz aktuelles Beispiel: Vor drei Tagen drangt ein russischer Kampfjet in Nato-Luftraum ein, nachdem Estland einen Öltanker inspizieren wollte. Der Außenminister des Landes warnte laut der Tageszeitung Welt: Russland sei bereit, seine Schattenflotte militärisch zu verteidigen.

An den Flaggenstaaten hakt es

Schlacke fasste die Grundsätze des internationalen Rechts so zusammen: Außerhalb gestaffelter Zonen in der Nähe von Küsten oder des Kontinentalsockels hat jeder in internationalen Gewässern das Recht auf freie Durchfahrt, sofern sie friedlich ist – und das Gegenteil müsste erst einmal bewiesen werden, beispielsweise durch Satellitenbilder.

Die Hauptverantwortung für die Durchsetzung der Rechtslage hat der jeweilige Flaggen-, nicht der betroffene Küstenstaat. Und das ist das große Problem: Exotische Staaten, unter deren Wimpeln Schiffe (mitunter auch solche deutscher Reedereien) fahren, kümmern sich selbst auf Aufforderung oft nicht darum. Anrainern wie Deutschland oder Finnland sind daher rechtlich meist die Hände gebunden, wenn sie beispielsweise eine Durchbrechung des Embargos oder den Einsatz umweltgefährdender Tanker mit nur einer einzigen Hülle vermuten. Durchsuchungen an Bord auf hoher See oder das Abschleppen in einen Küstenhafen zum Festhalten oder zur Beschlagnahme von Waren sind daher selten zulässig.

Erhöht wird die Rechtsunsicherheit laut der Wissenschaftlerin durch wenig einschlägige Kommentarliteratur und mangelnde Urteile des in Hamburg ansässigen Internationalen Seegerichtshofs, der nur ein- oder zweimal im Jahr tage – wenngleich unter Umständen auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag angerufen werden könne. Schlackes Resümee: "Wenn der Flaggenstaat nicht funktioniert, funktioniert alles nicht." Am besten wäre es, man dürfte Boote "an die Kette nehmen", wenn "unfriedliche" Absichten zu vermuten seien. Doch als einst die einschlägigen Abkommen verfasst worden seien, habe man zwar Gefahren für die Umwelt durch Leckagen vorausgesehen; mit den heutigen Methoden verkappter Kriegsführung aber habe damals niemand gerechnet.

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn, Mitglied der NJW-Schriftleitung, 19. Mai 2025.

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