Erfolg in Organstreit um Landtagswahlgesetz
Geklagt im Organstreitverfahren hatte unter anderem der Landesverband der Linken in Baden-Württemberg, die derzeit nicht im Landtag vertreten ist. Die Antragsteller waren der Meinung, dass der Landtag als Wahlgesetzgeber in Zeiten der anhaltenden Sars-CoV-2-Pandemie nicht in bisheriger Höhe an dem Unterschriftenerfordernis festhalten darf. Der Landesverfassungsgerichtshof gab ihnen am 09.11.2020 Recht. Dass der Landtag an dem Erfordernis von 150 Unterstützungsunterschriften festhalte, verletze die Antragsteller in ihrem Recht auf Chancengleichheit.
Verfassungswidrig durch Corona
Die Verfassungsrichter stellten klar, dass § 24 Abs.2 Satz 2 des Landtagswahlgesetzes wegen der Veränderungen der tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Landtagswahl, die durch die Sars-CoV-2-Pandemie und die zu ihrer Bekämpfung getroffenen Maßnahmen eingetreten sind, hinsichtlich der im Frühjahr 2021 anstehenden Landtagswahlen verfassungswidrig geworden ist. Denn die herkömmliche Art des Sammelns der Unterstützungsunterschriften im Weg der direkten Ansprache von Personen auf Straßen und Plätzen sowie an der Haus- und Wohnungstüre sei seit Ausbruch der Pandemie deutlich weniger Erfolg versprechend. Es liege auf der Hand und entspreche der derzeitigen allgemeinen Lebenserfahrung, dass in der Pandemie-Situation deutlich mehr Personen schon dem Versuch einer Kontaktaufnahme aus dem Weg gingen. In der Folge müssten deutlich mehr Personen angesprochen werden, obwohl der öffentliche Raum seit Pandemiebeginn auch häufig von weniger Personen als zuvor frequentiert werde und Veranstaltungen, in deren Zusammenhang um Unterschriften gebeten werden kann, nicht oder mit weniger Besuchern stattfänden.
Alternativen wenig erfolgsversprechend
Auch könne der mithin eintretenden Verschärfung der Ungleichbehandlung nicht mit dem Hinweis auf Alternativen zur herkömmlichen Art des Sammelns von Unterstützungsunterschriften begegnet werden, heißt es im Urteil weiter. Zwar könnten in einem bestimmten Ausmaß an die Stelle der direkten Ansprache von Personen, die möglicherweise eine Unterstützungsunterschrift abgeben, andere Möglichkeiten der Kontaktaufnahme treten, insbesondere über das Internet. Es liege allerdings nahe, dass solche andere Arten der Ansprache und Modalitäten der Unterzeichnung nicht in gleicher Weise wie der persönliche Kontakt erfolgversprechend sind.
Pandemiebedingte Beeinträchtigung muss kompensiert werden
Die vom Landtag anzupassende Regelung müsse so wirken, dass die pandemiebedingte gesteigerte Beeinträchtigung des Rechts auf Chancengleichheit jedenfalls kompensiert werde, betonten die Verfassungsrichter. Allerdings sei es nicht möglich, die erforderliche Kompensation objektiv zu ermitteln, also die verstärkte Ungleichbehandlung in eine konkrete Zahl von Unterschriften umzurechnen. Der Landtag dürfe daher eine grobe Wertung vornehmen, so das Gericht. Einerseits könne er dabei berücksichtigen, dass auch unter den derzeitigen Bedingungen die Ernsthaftigkeit von Wahlvorschlägen gesichert sein soll. Andererseits habe er darauf zu achten, dass keine durch die Pandemie-Lage verursachte Benachteiligung kleinerer Parteien eintrete. Dem würde eine nur geringfügige Verminderung der Zahl der beizubringenden Unterschriften nicht entsprechen.
LVerfGH hält Reduzierung um 50% für verfassungsgemäß
Wegen des kurzen Zeitraums, der für eine Neuregelung zur Verfügung steht, hat der Verfassungsgerichtshof vorsorglich darauf hingewiesen, dass er, sollte sich der Landtag für eine Verringerung des Unterschriftenquorums und nicht für eine andere denkbare Art der Kompensation entscheiden, nach dem derzeitigen Erkenntnisstand unter Berücksichtigung möglicher weiterer gradueller Verschärfungen der Schutzmaßnahmen jedenfalls bei einer Reduzierung um 50% keinen Anlass für eine erneute verfassungsrechtliche Beanstandung sähe.