Regeln zur Ausführung des Bundesteilhabegesetzes in Mecklenburg-Vorpommern verfassungswidrig

Die Regelungen, mit denen Mecklenburg-Vorpommern das Bundesteilhabegesetz ausführt, sind zum Teil verfassungswidrig. Dies hat das Landesverfassungsgericht auf die Verfassungsbeschwerden zweier kreisfreier Städte und eines Landkreises entschieden. Die Regelungen legten dem Ausgleich für Mehrbelastungen, die kreisfreien Städten und Landkreisen für die ihnen auferlegte bessere Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen entstehen, keine tragfähige Prognose zugrunde.

Rückwirkende Neuregelung erforderlich

Der Landesgesetzgeber müsse nun bis Ende 2022 für den vollen Geltungszeitraum, auch rückwirkend, eine Neuregelung treffen. Bis dahin seien die gegen das in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Landesverfassung geregelte Konnexitätsprinzip verstoßenden Vorschriften (konkret § 19a Abs. 1, zweiter Spiegelstrich Landesausführungsgesetz SGB XII und § 15 Abs. 1 Landesausführungsgesetz SGB IX) weiter anwendbar.

Eingliederungshilfen neu geregelt

Mit dem Bundesteilhabegesetz vom 23.12.2016 soll die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft für Menschen mit Behinderungen durch neugeordnete Leistungen zur Eingliederungshilfe verbessert werden. Die Eingliederungshilfen werden nun von der Sozialhilfe getrennt und stärker individualisiert gewährt. Diese Änderungen im Recht der Eingliederungshilfen sind am 01.01.2020 in Kraft getreten. Mit Gesetz vom 27.01.2018 hat der Landesgesetzgeber die Landkreise und kreisfreien Städte als Träger der Eingliederungshilfe im Sinne des Bundesteilhabegesetzes bestimmt. Mit dem Gesetz zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes vom 16.12.2019, das seit dem 01.01.2020 in Kraft ist, hat das Land unter anderem geregelt, dass den Eingliederungshilfeträgern anteilig die Jahresnettoauszahlungen für die Leistungen selbst erstattet werden. Zudem hat der Landesgesetzgeber in seinen Ausführungsgesetzen zum SGB IX und XII pauschale Ausgleichsbeträge für die Mehrbelastungen in Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes festgesetzt.

Konnexitätsprinzip verletzt?

Die Beschwerdeführer – zwei kreisfreie Städte und ein Landkreis – machen mit ihren Verfassungsbeschwerden die Verletzung des Konnexitätsprinzips nach Art. 72 Abs. 3 LV geltend. Danach können die Gemeinden und Kreise durch Gesetz zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben verpflichtet werden, wenn dabei gleichzeitig Bestimmungen über die Deckung der Kosten getroffen werden. Führt die Erfüllung dieser Aufgaben zu einer Mehrbelastung der Gemeinden und Kreise, so ist dafür ein entsprechender Ausgleich zu schaffen. Das LVerfG hat die drei Verfassungsbeschwerden zu einem Verfahren verbunden. Es hat sodann zunächst festgestellt, dass die Verfassungsbeschwerden mit Blick auf die jeweils individuell darzulegende Beschwerdebefugnis zum Teil unzulässig sind. Soweit die Verfassungsbeschwerden zulässig sind, hatten sie allerdings in der Sache weitgehend Erfolg. Damit sei jedoch nicht die Aussage verbunden, dass die vorgesehenen Ausgleichsbeträge in der Höhe nicht ausreichend seien, hebt das LVerfG hervor.

Schätzgrundlagen für Mehrbelastungen gründlich zu ermitteln

Um die Mehrbelastungen durch Aufgabenübertragung zu ermitteln, bedürfe es einer von dem Gesetzgeber durchzuführenden Prognose, so die Richter. Die Kostenprognose verlange eine auf vernünftigen Erwägungen beruhende Schätzung, für die der Gesetzgeber über einen Prognosespielraum verfüge. Eine grobe Schätzung der zukünftigen Mehrbelastung genüge nicht. Erforderlich sei eine gründliche gesetzgeberische Befassung mit den tatsächlichen Grundlagen der Prognoseentscheidung unter Ausschöpfung der zugänglichen Erkenntnisquellen bei Berücksichtigung der Verhältnisse vor Ort. Dies setze voraus, dass der Gesetzgeber die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen situationsgerecht ausgeschöpft und die voraussichtlichen Auswirkungen der Regelung so zuverlässig wie möglich abgeschätzt habe.

Tragfähige Kostenprognose fehlt bislang

Eine solche tragfähige Prognose habe der Landesgesetzgeber für den auszugleichenden erhöhten Verwaltungsaufwand des Jahres 2019 (§ 19a Abs. 1, zweiter Spiegelstrich Landesausführungsgesetz SGB XII) und für den Ausgleich der Mehrbelastungen ab 2020 (§ 15 Abs. 1 Landesausführungsgesetz SGB IX) nicht angestellt, hält das LVerfG sodann fest. Den im Gesetzgebungsverfahren genannten Annahmen zum Personalschlüssel sowie zu Anzahl und Kosten zusätzlich erforderlicher Stellen fehle es an einer faktenbasierten und nachvollziehbaren Begründung. Deshalb könne das LVerfG nicht feststellen, ob mit den in den Vorschriften bestimmten Gesamtbeträgen der nach Art. 72 Abs. 3 Satz 2 LV notwendige entsprechende finanzielle Ausgleich für die mit der Aufgabenübertragung verbundenen Mehrbelastungen geschaffen ist.

LVerfG, Urteil vom 19.08.2021 - 19.08.2021 LVerfG 2/19; LVerfG 3/19; LVerfG 1/20

Redaktion beck-aktuell, 19. August 2021.

Mehr zum Thema