Täter verübten jahrelang schweren Kindesmissbrauch auf Campingplatz
Auf einem Campingplatz im ostwestfälischen Lügde sollen die beiden jahrelang in mehreren Hundert Fällen insgesamt 34 Kinder schwer sexuell missbraucht haben. Der Ältere soll dabei laut Anklage in mehr als 200 Fällen in die Körper von Kindern eingedrungen sein, der jüngere in fast 50 Fällen. Einige Opfer sollen zur Tatzeit noch im Kindergartenalter gewesen sein. Die meisten Taten sollen die Männer in der heruntergekommenen Unterkunft von Andreas V. auf dem Campingplatz an der Grenze zu Niedersachsen begangen haben.
Richterin zeigt sich auch nach der Verhandlung fassungslos
"Nach wie vor fällt es schwer, das Geschehen in Worte zu fassen", sagte die Vorsitzende Richterin Anke Grudda in der Urteilsbegründung. Worte wie "abscheulich, monströs, widerwärtig" reichten nicht aus, das Geschehen zu beschreiben. "Auch nach zehn Verhandlungstagen bleibt die Fassungslosigkeit." Die beiden seien für Taten an 32 Kindern verurteilt worden. Die Zahl der Opfer sei vermutlich viel höher. Die Richterin sprach die Verurteilten mehrfach direkt an: "Sie haben 32 Kinder und Jugendliche zu Objekten ihrer sexuellen Begierden degradiert und 32 Kindheiten zerstört." Die Kammer habe leider nicht den Eindruck gewinnen können, dass die beiden auch nur ansatzweise verstanden hätten, welche Schuld sie auf sich geladen hätten.
"Infames und niederträchtiges" Vorgehen
Neben der Vielzahl der Fälle, der Dauer des Missbrauchs und seiner Gewalttätigkeit wertete das Gericht die "infame und niederträchtige Vorgehensweise" der Angeklagten strafverschärfend: Beide Männer seien in der Verhandlung als "Kindermagnete" beschrieben worden, schilderte Grudda. Mit Geschenken und Unternehmungen um und im "Kinderparadies" Campingplatz hätten sie sich das Vertrauen der Kinder erschlichen und sich mit Erpressung, Gewaltandrohungen und emotionalem Druck das Schweigen ihrer Opfer gesichert.
Auch die Pflegetochter wurde zum Opfer des Dauercampers
Zu den Opfern des Dauercampers zählte laut Anklage auch ein Mädchen, das als Pflegetochter bei ihm einzog und als Lockvogel diente, um an weitere Opfer zu kommen. Eine Psychiaterin hatte Andreas V. im Prozess als manipulativ, narzisstisch und antisozial beschrieben, mit einer tief verwurzelten Neigung für Kindesmissbrauch. Der Prozess hatte Ende Juni begonnen. Aus Opferschutzgründen fand er in weiten Teilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Am Rande des Prozesses hatten Nebenklägervertreter von schweren Traumata ihrer Mandanten berichtet.
Angeklagte filmten ihre Taten
Andreas V. wurden rund 290 Missbrauchstaten zur Last gelegt. Mario S. hatte sich laut Anklage in rund 160 Fällen an Mädchen und Jungen vergangen - seit 1999 war er dazu immer wieder zu Gast auf dem Campingplatz, aber auch seine Wohnung in Steinheim bei Höxter soll Tatort gewesen sein. Beide Männer filmten ihre Taten, bei beiden stellte die Polizei insgesamt Tausende Bild- und Videodateien sicher, die sexuelle Gewalt gegen Kinder- und Jugendliche zeigen.
Geständnisse wirkten strafmildernd
Gründe, von der Höchststrafe von 15 Jahren abzuweichen, gebe es "wahrlich wenige", so Grudda weiter. Strafmildernd wertete das Gericht aber, dass beide nicht vorbestraft waren und gleich zu Beginn des Prozesses gestanden hatten. Letzteres habe den Opfern die Tortur einer detaillierten Befragung durch das Gericht erspart.
Anwälte halten Urteil für angemessen
Der Anwalt des 34-Jährigen will nach Angaben des Gerichtssprechers keine Revision einlegen. Der Anwalt des 56-Jährigen, Johannes Salmen, sagte, er werde seinen Mandanten nicht überreden, in die Revision zu gehen. Wie sein Mandant das Urteil aufgenommen habe, wisse er nicht. "Ich kann in meinen Mandanten nicht hineinsehen." Das Urteil sei gut begründet gewesen, meinte er. Auch die Anordnung der Sicherungsverwahrung sei erwartet worden. Vertreter von Nebenklägern bezeichneten das Urteil als "angemessen". Laut Nebenklage-Anwältin Zeliha Evlice hatte sich ihre 19-jährige Mandantin zuvor gewünscht: "Er soll einfach weg. Er soll keine Gefahr mehr darstellen. Mit dem Urteil 13 und 12 Jahre plus Sicherungsverwahrung hat sie genau das hören dürfen."
Verfahren gegen dritten Angeklagten abgetrennt
Das Strafverfahren gegen einen dritten Mitangeklagten war frühzeitig abgetrennt worden, weil die vorgeworfenen Taten deutlich weniger schwer wogen: Ein 49-jähriger aus Stade in Niedersachsen war bereits am 17.07.2019 zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden, weil er wiederholt an Webcam-Übertragungen teilgenommen hatte, bei denen ein Kind auf dem Campingplatz sexuell missbraucht wurde. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung gefordert und hat Revision eingelegt.
Polizei und Jugendämter in der Kritik
In dem Fall stehen auch die Polizei und Jugendämter in der Kritik, weil sie Hinweisen auf den Hauptverdächtigen zunächst nicht nachgegangen sein sollen. Auch bei den Ermittlungen gab es Pannen, unter anderem verschwanden Beweismittel. Der nordrhein-westfälische Landtag hat deshalb einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Er soll die drei Themenbereiche Polizei und Staatsanwaltschaft, Jugendämter sowie den Umgang der Landesregierung mit dem Fall genauer beleuchten. Die nächste Sitzung ist für den 13.09.2019 geplant.
Nordrhein-Westfalen rüstet auf gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie
Nach Bekanntwerden des Falls hatte der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen Herbert Reul (CDU) das Thema zur Chefsache erklärt. Mittlerweile stuft das nordrhein-westfälische Innenministerium Kindesmissbrauch und Kinderpornografie als “kriminalpolitischen Schwerpunkt“ aller Polizeibehörden ein. In den Kreispolizeibehörden sei das Personal für die Bearbeitung solcher Fälle “deutlich aufgestockt“ worden, hieß es aus dem Ministerium. Das Urteil sei "eine Warnung an alle Täter", so Reul. Dies gelte besonders für die Anordnung der Sicherungsverwahrung. Solche Täter seien eine zu große Bedrohung, "als dass man sie nach Verbüßung ihrer Strafe einfach wieder auf freien Fuß lassen könnte".