LSG Nordrhein-Westfalen: Exoskelett als Hilfsmittel bei Querschnittslähmung

Gesetzlich Versicherte müssen sich nicht auf die alleinige Versorgung mit einem Aktivrollstuhl und einem Stehrollstuhl verweisen lassen. Dies hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in einem jetzt veröffentlichten Urteil vom 27.02.2020 klargestellt und einen Anspruch auf den unmittelbaren Behinderungsausgleich durch ein sogenanntes Exoskelett bejaht, das als orthopädisches Hilfsmittel die Funktion der Beine ersetze, in dem es das selbstständige Stehen und Gehen ermögliche. Das LSG hat die Revision zugelassen (Az.: L 5 KR 675/19).

Kläger blieb in Vorinstanz erfolglos

Der Kläger leidet nach einem Verkehrsunfall an einer Querschnittslähmung. Er beantragte 2016 erfolglos die Versorgung mit einem ärztlich verordneten Exoskelett (Kosten rund 100.000 Euro). Widerspruch und Klage vor dem Sozialgericht blieben ohne Erfolg.

Verlorengegangene Funktion der Beine im Fokus

Auf die Berufung des Klägers hat das LSG nun die beklagte Krankenkasse zur Kostenübernahme verurteilt. Der Kläger habe einen Anspruch auf den unmittelbaren Behinderungsausgleich durch das Exoskelett nach § 33 SGB V. Bei der Frage, welche Körperfunktion ausgeglichen werde, sei nicht auf die durch die Querschnittslähmung verursachte Nervenschädigung und die damit verbundene Bewegungslosigkeit der Beine abzustellen. Weder das Exoskelett noch sonst ein auf dem Markt erhältliches Hilfsmittel sei derzeit in der Lage, dem Kläger wieder ein willensgesteuertes Bewegen seiner Beine zu ermöglichen. Es gehe vielmehr – universeller betrachtet – um den Ausgleich der durch den körperlichen Schaden verlorengegangenen Funktion der Beine, die für den Menschen im Wesentlichen aus dem Stehen und Gehen bestehe.

Mit Hörgeräten vergleichbar

Das Exoskelett ersetze diese beiden Funktionen. Der Kläger lege es wie eine zweite Hose an, wähle auf der Fernbedienung das Programm "Stehen" und löse den Aufstehvorgang durch seine Vorwärtsneigung und sein Bewegen der Unterarmgehstützen aus. Wähle er das "Gehen" aus, werde dieses gleichermaßen ausgelöst. Das Gehen ende, sobald der Kläger die Unterarmgehstützen nicht mehr bewege. Obwohl das Exoskelett – anders als mechatronische Prothesen wie beispielsweise das C-leg – kein Körperersatzstück sei, werde das Gehen bei beiden Hilfsmitteln auf ähnliche Weise ermöglicht. Ähnlich wie das Exoskelett müsse auch das C-Leg "angelegt" und vor der Nutzung der gewünschte Modus mit Hilfe der Fernbedienung gewählt werden. Vergleichbar seien auch Hörgeräte.

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.02.2020 - L 5 KR 675/19

Redaktion beck-aktuell, 15. April 2020.

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