LSG Nordrhein-Westfalen bejaht SGB-II-Anspruch bei Beurlaubung im Maßregelvollzug

Hält sich ein Antragsteller im Rahmen einer Dauerbeurlaubung aus dem Maßregelvollzug in einer eigenen Wohnung auf, so kann er einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben. Er unterfällt nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II. Dies hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 23.01.2020 entschieden (Az.: L 19 AS 1492/18, nicht rechtskräftig).

Amt lehnte SGB-II-Leistungen ab

Der Kläger befand sich seit Ende 2015 im Maßregelvollzug. Mitte 2017 erhielt er die höchste Lockerungsstufe des achtstufigen Lockerungskonzepts, die unter anderem die Möglichkeit einer Langzeitbeurlaubung in eine eigene Wohnung vorsah. Im März 2018 mietete er eine solche an und zog nach Beurlaubung in diese ein. Der Beklagte lehnte seinen Antrag auf Bewilligung von SGB-II-Leistungen ab, da im Maßregelvollzug befindliche Personen vom Leistungsbezug ausgeschlossen seien.

LSG bejaht mit SG Anspruch: Kein Maßregelvollzug mehr 

Das Sozialgericht Duisburg verurteilte den Beklagten hingegen zur Leistungsgewährung. Die Berufung des Beklagten hat das LSG nun zurückgewiesen. Ein Leistungsbegehrender, der sich im Rahmen einer Dauerbeurlaubung aus dem Maßregelvollzug in einer eigenen Wohnung aufhalte, sei nicht nach § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Denn mit dem Beginn dieser Form der Beurlaubung sei die Unterbringung im maßregelvollzugsrechtlichen Sinne und damit ein Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung beendet.

Nur noch mittelbare Kontrolle der Vollzugsanstalt über Lebensführung

Ein dem Maßregevollzug Unterworfener werde in diesem Moment aus der kontrollierenden Aufsicht der Vollzugsanstalt befreit, argumentiert das LSG. Diese übe bei einem gewährten Probewohnen in einer eigenen Wohnung zwar noch eine mittelbare Kontrolle über die Lebensführung aus. Jedoch entfalle die für den Vollzug typische Gestaltung und Kontrolle der äußeren Struktur des täglichen Lebens des Untergebrachten durch die Maßregelvollzugseinrichtung vollständig. Die Vollzugseinrichtung übernehme in diesem Fall nicht mehr die Verantwortung für die Lebensführung des Untergebrachten. Die in der individuellen Betreuungsvereinbarung getroffenen Bestimmungen über die jederzeitige Erreichbarkeit et cetera hätten zwar die Handlungsfähigkeit des Klägers eingeschränkt, jedoch seine tägliche Lebensführung nur mittelbar beeinflusst. Eine tägliche Kontrolle oder Beaufsichtigung sei nicht erfolgt.

Revision anhängig

Die Beklagte hat Revision beim Bundessozialgericht eingelegt (Az.: B 4 AS 26/20 R).

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.01.2020 - L 19 AS 1492/18

Redaktion beck-aktuell, 16. März 2020.

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