LSG Nordrhein-Westfalen bejaht SGB-II-Anspruch auf Übernahme der Kosten der Kryokonservierung

Droht einem Leistungsbezieher die Unfruchtbarkeit in Folge einer Chemotherapie, so hat er Anspruch auf Übernahme der Kosten einer Kryokonservierung von Samenzellen nach dem SGB II. Dies entschied das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 05.12.2019 (Az.: L 7 AS 845/19, nicht rechtskräftig).

SGB-II-Bezieher ließ Spermien vor erforderlicher Chemotherapie "kryokonservieren"

Der Kläger bezieht SGB-II-Leistungen. In Folge eines Immundefektes musste er sich einer Chemotherapie unterziehen. Zuvor beauftragte er aufgrund des drohenden Fertilitätsverlustes die Kryokonservierung von Spermienzellen. Die Kosten betragen 297,50 Euro pro Jahr.

Jobcenter verweigert Kostenübernahme

Das beklagte Jobcenter lehnte deren Übernahme ab. Es handele sich um eine Maßnahme, die nicht der Sicherung des Lebensunterhalts, sondern der persönlichen Familienplanung diene. Das Sozialgericht Duisburg bestätigte dies und ließ die Berufung zu.

LSG erkennt Kosten als unabweisbaren laufenden besonderen Bedarf an

Das LSG Nordrhein-Westfalen hat sich der Rechtsauffassung des Klägers angeschlossen und die Kosten als unabweisbaren laufenden besonderen Bedarf gemäß § 21 Abs. 6 SGB II anerkannt. Die Kosten zählten zur Gesundheitspflege, überstiegen den hierfür im Regelbedarf vorgesehenen Betrag von 180 Euro jährlich deutlich und hätten aufgrund eines atypischen Sachverhalts einen atypischen Umfang.

Kryokonservierung als existenziell notwendigen Bedarf

Die Kryokonservierung sei eine medizinisch zur Erhaltung der Fähigkeit, eigene Kinder zu haben, zwingend notwendige, ärztlich empfohlene und in das Gesamtbehandlungskonzept eingebundene Maßnahme gewesen. In einer derartigen Fallgestaltung sei sie keine Maßnahme, die lediglich die Wünsche eines Versicherten für seine individuelle Lebensgestaltung betreffe, stellt das LSG klar. Vielmehr handele es sich um einen Bestandteil einer umfassenden Krankenbehandlung und damit einen existenziell notwendigen Bedarf im Sinne des Art. 1 Abs. 1 GG. Dieser dürfe dem Kläger nicht deshalb verschlossen bleiben, weil er nicht über die Mittel zu seiner Finanzierung verfüge.

Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen

Ein Anspruch bestehe im Übrigen gegenüber der Krankenkasse weiterhin nicht. § 27a Abs. 4 SGB V sei erst zum 11.05.2019 in Kraft getreten, die Richtlinien hierzu stünden noch aus. Der Kläger könne schließlich nicht darauf verwiesen werden, die Aufwendungen aus dem vom anzurechnenden Kindergeld abzusetzenden Freibetrag zu bestreiten. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen worden.

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.12.2019 - L 7 AS 845/19

Redaktion beck-aktuell, 31. Januar 2020.

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