Gesamtangemessenheitsgrenze für Unterkunfts- und Heizkosten gilt im Sozialhilferecht analog

Die im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende geltende Gesamtangemessenheitsgrenze zur Berechnung der Unterkunfts- und Heizkosten gilt auch im Bereich des Sozialhilferechts. Die Arbeitslosengeld-II-Regel sei analog anzuwenden, entschied das hessische Landessozialgericht in Darmstadt mit Urteil vom 19.01.2022 unter Zulassung der Revision.

Wechsel von Hartz IV zu Sozialhilfe – Amt erkennt Heizkosten nicht voll an

Der 1951 geborene Kläger lebt mit seiner Frau in einer 78 Quadratmeter großen Wohnung (Kaltmietzins 322 Euro, Heizkosten 121 Euro). Er bezog zunächst Arbeitslosengeld II und beantragte nach Erreichen der Altersgrenze schließlich Grundsicherungsleistungen im Alter (Sozialhilfe). Der Landkreis verwies darauf, dass für einen Zwei-Personen-Haushalt lediglich eine Wohnfläche von 60 Quadratmetern und dementsprechend Heizkosten von maximal 69,25 Euro angemessen seien.

Kläger wendet sich gegen isolierte Betrachtung der Heizkosten

Der Mann führte dagegen an, dass das Jobcenter bislang höhere Leistungen gewährt habe. Bei der Prüfung der Angemessenheit seien auch im Sozialhilferecht die Heizkosten nicht isoliert zu betrachten. Vielmehr sei – wie bei der Hartz-IV-Berechnung – eine Gesamtangemessenheitsgrenze anzuwenden, welche sich auf die Gesamtkosten für Unterkunft und Heizung beziehe. Die Vorinstanz gab dem Kläger Recht. Die Arbeitslosengeld-II-Regelung zur angemessenen Höhe der Kosten für Unterkunft und Heizung sei in der Sozialhilfe analog anzuwenden (SG Kassel, BeckRS 2019, 59130). Der Beklagte legte Berufung ein.

LSG: Sozialhilfe muss unangemessene Heizkosten übernehmen

Das LSG hat die vorinstanzliche Entscheidung bestätigt. Im vorliegenden Fall müsse die Sozialhilfe angesichts des niedrigen Kaltmietzinses die höheren Heizkosten des Klägers berücksichtigen. Die Bedarfe für die Unterkunft würden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt. Überstiegen die Kosten den angemessenen Umfang, so seien sie anzuerkennen, solange eine Kostensenkung – wie etwa einem Wohnungswechsel – nicht möglich oder nicht zumutbar sei.

Im Hartz-IV-Bereich gilt seit 2016 Gesamtangemessenheitsgrenze

Nach einer 2016 eingeführten Regelung im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende sei anhand einer Gesamtangemessenheitsgrenze zu beurteilen, ob die Kosten für Unterkunft und Heizung angemessen seien. Dies wirke sich zugunsten der Leistungsempfänger insbesondere in den Fällen aus, in denen ein sehr niedriger Kaltmietzins mit unangemessen hohen Heizkosten oder aber ein unangemessen hoher Kaltmietzins mit sehr niedrigen Heizkosten zusammenträfen.

Regelung ist im Sozialhilferecht analog anzuwenden

Diese Regelung zur Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze sei im Bereich der Sozialhilfe analog anzuwenden, meint das LSG. Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe dienten jeweils der Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Zudem seien die Angemessenheitsgrenzen der Kosten für Unterkunft und Heizung weitgehend parallel geregelt. Die durch die SGB-II-Reform im Jahr 2016 entstandene Regelungslücke im SGB XII sei im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot durch analoge Rechtsanwendung zu schließen.

LSG Hessen, Urteil vom 19.01.2022 - L 4 SO 143/19

Redaktion beck-aktuell, 15. März 2022.