LSG Hessen: Geringer ergänzender Sozialleistungsbezug begründet keinen Missbrauch des EU-Freizügigkeitsrechts

Die Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die aufstockend zu einer tatsächlichen Arbeitnehmertätigkeit gewährt werden, begründet nicht per se einen Missbrauch des EU-Freizügigkeitsrechts. Dies hat das Landessozialgericht Hessen mit jetzt mitgeteilten Eilbeschluss vom 11.12.2019 entschieden. Von einem Missbrauch sei jedenfalls dann nicht auszugehen, wenn der Betroffene durch seine Arbeitnehmertätigkeit seinen eigenen Bedarf fast vollständig selbst decken kann, so das SG (Az.: L 6 AS 528/19 B ER, BeckRS 2019, 35539).

Hartz IV nach Arbeitsunfall beantragt

Ein bulgarisches Ehepaar mit zwei minderjährigen Kindern reiste im Frühjahr 2019 in die Bundesrepublik ein. Die Familie wurde zunächst von Verwandten finanziell unterstützt. Der Mann nahm Anfang Mai 2019 eine Tätigkeit als Landschaftsgärtner auf (Nettoverdienst 680 Euro bei 80 Stunden monatlicher Arbeitszeit), erlitt bereits nach wenigen Tagen einen Arbeitsunfall und erhielt daraufhin Verletzten- bzw. Krankengeld. Ergänzend beantragte er Grundsicherungsleistungen (Hartz IV). Das Jobcenter lehnte dies ab. Leistungen seien ausgeschlossen, weil der Aufenthalt des Antragstellers sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe.

LSG: Kein Missbrauch des Freizügigkeitsrechts bei fast vollständiger Bedarfsdeckung 

Das LSG verpflichtete das Jobcenter, der Familie vorläufig laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren. Mit der Arbeitsaufnahme des Mannes sei dieser als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt. Er habe sich auch nicht rechtsmissbräuchlich auf das Freizügigkeitsrecht berufen. Denn die Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die aufstockend zu einer tatsächlichen Arbeitnehmertätigkeit gewährt werde, begründe nicht per se einen entsprechenden Missbrauch. Diese gelte jedenfalls, wenn der Betroffene durch seine Arbeitnehmertätigkeit den eigenen Bedarf fast und zumindest unter zusätzlicher Inanspruchnahme von Wohngeld decken könne. Hiervon sei bei dem Antragsteller aufgrund des Monatsgehalts von knapp 700 Euro netto auszugehen.

LSG Hessen, Beschluss vom 11.12.2019 - L 6 AS 528/19 B ER

Redaktion beck-aktuell, 26. Februar 2020.

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