Sturz auf Weg zum Hörgeräteakustiker kein Arbeitsunfall

Ein Sturz vor Arbeitsbeginn auf dem Weg zum Geschäft eines Hörgeräteakustikers, um Ersatzbatterien zu kaufen, steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Dies hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg entschieden. Daran ändere auch eine vertragliche Nebenabrede nichts, die den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin zum Tragen eines Hörgeräts verpflichte. Das LSG hat die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.

Sturz vor Schichtbeginn auf Weg zum Hörgeräteakustiker

Die als Fahrdienstleiterin für die Deutsche Bahn tätige Klägerin litt unter Einschränkungen ihres Hörvermögens. Daher hatte sie mit ihrer Arbeitgeberin schriftlich vereinbart, bei ihrer Arbeit stets Hörgeräte zu tragen und hierfür vorsorglich auch immer Ersatzbatterien mitzuführen. Im August 2019 fielen ihre Hörgeräte während der Spätschicht unerwartet aus, sie musste die Batterien wechseln. Daher machte sie sich am Vormittag des folgenden Tages auf den Weg zum Geschäft ihres Hörgeräteakustikers, um von dort neue Ersatzbatterien zu besorgen. Im unmittelbaren Anschluss wollte sie erneut ihre Spätschicht im Stellwerk antreten. Am Bordstein vor dem Geschäft geriet sie ins Straucheln, stürzte und zog sich einen Bruch am Kopf des Oberarmknochens zu. Die Unfallkasse erkannte den Unfall nicht als Arbeitsunfall an. Auf Klage der Frau entschied das Sozialgericht Potsdam, dass der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auch auf dem Weg bestehe, den sie zurücklege, um Ersatzbatterien für ihre Hörgeräte zu besorgen. Dagegen legte die Unfallkasse Berufung ein.

LSG: Hörgeräte sind keine Arbeitsgeräte

Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Persönliche Gegenstände wie Hörgeräte oder Brillen gehörten grundsätzlich nicht zu den Arbeitsgeräten, deren (Ersatz-)Beschaffung versichert sei. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sie nicht nahezu ausschließlich beruflich genutzt würden. Hier hätten die beigezogenen ärztlichen Unterlagen sowie die eigenen Angaben der Frau ergeben, dass sie zum Unfallzeitpunkt auch privat auf die Benutzung der Hörgeräte angewiesen gewesen sei.

Explizite Nebenabrede erweitert Unfallversicherungsschutz nicht

Unfallversicherungsschutz lässt sich laut LSG auch nicht aus der mit der Arbeitgeberin getroffenen Nebenabrede herleiten, wonach die Frau bei ihrer Arbeit stets Hörgeräte tragen und Ersatzbatterien mitführen müsse. Indem er Nebenpflichten begründe, könne der Arbeitgeber den Unfallversicherungsschutz nicht beliebig in den eigentlich privaten Bereich ausdehnen. Es obliege jedem Arbeitnehmer, funktionsfähig zum Dienst zu erscheinen und persönliche Einschränkungen von sich aus soweit wie möglich zu kompensieren, etwa eine im privaten Bereich verordnete Sehhilfe oder eben auch ein Hörgerät zu tragen. Werde diese Verpflichtung arbeitsvertraglich noch einmal ausdrücklich festgehalten, so führe dies nicht dazu, dass Unfälle, die im Zusammenhang mit der Beachtung dieser Verpflichtung eintreten, unter den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz fielen.

Kein besonders enger Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit

Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung sei nur dann auf betrieblich veranlasste Vorbereitungshandlungen auszuweiten, wenn diese in einem besonders engen sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit selbst stünden, so das LSG weiter. Dieser besonders enge Zusammenhang sei hier nicht gegeben. Um ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten, sei die Frau nicht darauf angewiesen gewesen, plötzlich und ohne weiteren Verzug Batterien für ihre Hörgeräte zu besorgen. Vielmehr habe es sich bei dem Kauf der Batterien um die turnusmäßig wiederkehrende Instandhaltung eines Hilfsmittels gehandelt. Hierfür habe sie zeitlich flexibel in ihrer Freizeit tätig werden können und hätte auch vorausschauend einen Vorrat anlegen können.

LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.02.2022 - L 3 U 148/20

Redaktion beck-aktuell, 28. Februar 2022.

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