LSG Berlin-Brandenburg: "Entlohnte" Mitwirkung an Pflegebetrug führt nicht zu Kürzung der Sozialhilfe

Sozialhilfeempfängern, die an einem Pflegebetrug durch Pflegedienste mitgewirkt haben und dafür "entlohnt" worden sind, darf das Sozialamt wegen dieses "Einkommens" nicht von der Sozialhilfe ausschließen. Dies haben, mit jeweils unterschiedlicher Begründung, der 23. und 15. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg im Dezember 2016 und Januar 2017 in einer Reihe von Eilverfahren entschieden (unter anderem Beschluss vom 21.12.2016, Az.: L 15 SO 301/16 B ER, BeckRS 2016, 110210 und Beschluss vom 09.01.2017, Az.: 23 SO 327/16 B ER, rechtskräftig).

Nicht erbrachte Pflegeleistungen unter Beteiligung von Ärzten und Patienten abgerechnet

Seit einigen Jahren laufen in Deutschland umfangreiche strafrechtliche Ermittlungen gegen betrügerische Pflegedienste, erläutert das LSG Berlin-Brandenburg. Deren Geschäftsmodell bestehe darin, zulasten der Sozialleistungsträger Pflegeleistungen abzurechnen, die tatsächlich gar nicht erbracht wurden. Als Komplizen der Pflegedienste wirkten neben Ärzten vor allem auch Patienten mit, indem sie den Erhalt gar nicht erbrachter Pflegeleistungen quittierten und so deren Abrechnung ermöglichten. Zur Belohnung erhielten sie monatlich einen Anteil am Betrugserlös, der im Milieu als "Kick-Back-Zahlung" bezeichnet werde.

Sozialämter hoben wegen Kick-Back-Zahlungen Sozialhilfe-Bewilligungen auf

Zahlreiche der Pflegebedürftigen erhielten nicht nur Sozialleistungen für die Pflege, sondern auch Sozialhilfe für den täglichen Lebensunterhalt. Sozialhilfe wird aber grundsätzlich nur bei Bedürftigkeit gewährt, also wenn kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen vorhanden ist. Wenn Pflegebedürftige in den Kassenbüchern des Pflegedienstes genannt waren, sei die Bewilligung der Sozialhilfe in vielen Fällen aufgehoben worden, weil die Kick-Back-Zahlungen als Einkommen im Sinne des § 82 SGB XII gewertet wurden, die den Anspruch auf Sozialhilfe verringern. Außerdem wurden laut LSG Erstattungsforderungen gegen die pflegebedürftigen Sozialhilfeempfänger festgesetzt, die sich oft im fünfstelligen Bereich bewegt hätten.

Klagen betroffener Sozialhilfeempfänger in erster Instanz erfolglos

Die hiergegen seitens der betroffenen Sozialleistungsempfänger angestrengten sozialgerichtlichen Eilverfahren hatten nach Angaben des LSG in erster Instanz überwiegend keinen Erfolg. Mehrere Kammern des SG hätten den Erhalt von Kick-Back-Zahlungen für erwiesen erachtet und in den Zahlungen ein Einkommen gesehen, das die Hilfebedürftigkeit der Sozialleistungsempfänger reduzierte.

23. LSG-Senat: Kick-Back-Zahlungen kein "Einkommen" im Sinn des Sozialhilferechts

Die von den Sozialleistungsempfängern gegen diese Beschlüsse gerichteten Beschwerden hatten in den vor dem LSG durchgeführten Eilverfahren durchweg Erfolg. Die Sozialämter hätten nach Auffassung des LSG die "sofortige Vollziehung" ihrer Bescheide nicht anordnen dürfen. Dabei hat der 23. Senat des LSG es offen gelassen, ob der Erhalt von Kick-Back-Zahlungen erwiesen sei und entschieden, dass Kick-Back-Zahlungen als Gewinne aus begangenen Straftaten kein "Einkommen" im Sinne des Sozialhilferechts darstellten. Ein solcher Zufluss an Geld stamme aus einem gemeinschaftlich begangenen Betrug und sei von vornherein mit einer Rückzahlungspflicht belastet. Eine Behörde könne nicht verlangen, Einkünfte aus strafbaren Handlungen zum Bestreiten des Lebensunterhalts einzusetzen, um so den Anspruch auf staatliche Sozialleistungen zu mindern (zum Beispiel Beschluss vom 09.01.2017, Az.: 23 SO 327/16 B ER, rechtskräftig).

15. LSG-Senat sieht Erhalt von Kick-Back-Zahlungen nicht hinreichend belegt

Der 15. Senat des LSG Berlin-Brandenburg hat die Rechtsfrage, ob Kick-Back-Zahlungen Einkommen im Rechtssinn seien, dagegen ausdrücklich offen gelassen (Beschluss vom 21.12.2016, Az.: L 15 SO 301/16 B ER, BeckRS 2016, 110210). Allerdings sei der Erhalt von Kick-Back-Zahlungen nicht hinreichend belegt. Denn hierfür spreche einzig ein Eintrag in einem Kassenbuch des Pflegedienstes. Umgekehrt sei zum Beispiel nicht erwiesen, dass die Antragstellerin Pflegeleistungen in einem geringeren als mit der Pflegekasse abgerechneten Umfang erhalten habe.

Abschließende Entscheidung über aufgeworfene Rechtsfragen erst im Hauptsacheverfahren

Damit sei der Versuch der Sozialämter zunächst gescheitert, auf den angenommenen Pflegebetrug sofort mit der Rückabwicklung von Sozialhilfeleistungen zu reagieren, so das LSG. Eine abschließende Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen sei allerdings den Hauptsacheverfahren vorbehalten. Mit den Eilentscheidungen des LSG sei zudem nur ein Aspekt des mutmaßlichen "Pflegebetrugs" beleuchtet worden. Anhängig seien bei der Berliner Staatsanwaltschaft strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen des Pflegeunternehmens sowie etwaige Empfänger von Kick-Back-Zahlungen. Abzuwarten bleibe auch, ob die Pflegekassen gezahlte Vergütungen für nicht erbrachte Pflegeleistungen mit Erfolg werden zurückfordern können.

LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.12.2016 - L 15 SO 301/16 B ER

Redaktion beck-aktuell, 2. Februar 2017.

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