Im Fall einer Praxisgemeinschaft zweier Fachärzte des gleichen Gebiets hat das LSG Berlin-Brandenburg einen rechtswidrigen Missbrauch der Kooperationsform bestätigt. Vielmalige Blankoüberweisungen an den Praxispartner, regelmäßige Einlesungen der Versichertenkarten am selben Tag und selbstverständliche gegenseitige Vertretungen hätten klar darauf schließen lassen, dass die vermeintliche Praxisgemeinschaft tatsächlich als Gemeinschaftspraxis geführt worden sei. Die Krankenkassen seien deshalb berechtigt gewesen, ein anteiliges Honorar für fast zwei Jahre zurückzufordern (Urteil vom 18.09.2024 – L 7 KA 5/23).
Im März 2014 kam es zu einer stichprobenartigen Überprüfung einer als "Praxisgemeinschaft" geführten Praxis zweier Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie. Die zuständige Prüfstelle der Krankenkassen hatte eine auffällig hohe Quote an Patienten festgestellt, die sowohl vom einen als auch vom anderen Arzt behandelt wurden – ein Umstand, der eigentlich nur in einer Gemeinschaftspraxis vorkommen sollte. Der Verdacht bestätigte sich: Zwischen 2011 und 2013 hatten die Ärzte aufgrund gleicher Diagnosen regelmäßig Patientinnen und Patienten aneinander überwiesen und diese zudem unter den gleichen Patientennummern geführt. Zum Teil seien dabei auch identische Leistungen erbracht worden. Auffällig häufig seien auch Krankenkassenkarten für beide Ärzte an denselben Tagen eingelesen worden. Außerdem störte sich die Prüfstelle daran, dass es praktisch "auf Zuruf" regelmäßig zu gegenseitigen Vertretungen gekommen sei. Insgesamt sei die Praxisführung ein Verstoß gegen die Ärzte-Zulassungsverordnung, der die Krankenkassen zu einer Rückforderung von Honorar in Höhe von etwa 70.000 Euro berechtige.
Einer der Ärzte klagte daraufhin im April 2018 vor dem SG Berlin. Er behauptete, gute Erklärungen für die bis zu 50%igen Patientenüberschneidungen zu haben: Er selbst besitze eine Weiterbildung für Chiropraktik ("manuelle Therapie"), die der andere Facharzt nicht habe. Dieser wiederum sei im Gegensatz zu ihm auf dem Gebiet der Akupunktur weitergebildet. Deshalb habe man sich in bestimmten Fällen zur weiteren "Klärung der Indikation" gegenseitig Patienten überwiesen. So auch in Fällen, in denen es nicht um sein Spezialgebiet (obere Extremitäten), sondern um das Spezialgebiet des anderen Arztes (untere Extremitäten) ginge, wobei es nicht immer auch tatsächlich zu Behandlungen gekommen sei. Das gemeinsame Einlesen der Krankenkassenkarten sei außerdem gängig in Praxisgemeinschaften, um "im Bedarfsfall" die Patientendaten schon parat zu haben. Die regelmäßigen gegenseitigen Vertretungen erklärte er damit, dass beide Ärzte jeweils Väter dreier Kinder seien. Dementsprechend oft habe es kurzfristige Vertretungen gebraucht.
Das SG Berlin, und später auch das LSG Berlin-Brandenburg, ließen diese Argumente im Ergebnis nicht gelten. Die Gerichte bestätigten die Rückforderung der Krankenkassen.
Die "Gemeinschaftspraxis" und umgekehrt
Das Gericht erklärte zunächst, was das Gesetz nun genau unter den beiden Kooperationsformen verstand. Eine Gemeinschaftspraxis – oder im Wortlaut der Ärzte-Zulassungsverordnung eine "Berufsausübungsgemeinschaft" – zeichne sich dadurch aus, dass sich mehrere Ärzte gleicher oder ähnlicher Fachgebiete zusammenschlössen, um gemeinsam und gemeinschaftlich ihren Beruf auszuüben. Das gehe über die gemeinsame Nutzung von Praxisräumen und -einrichtungen hinaus und umfasse zusätzlich auch die gemeinschaftliche Behandlung, Karteiführung und Abrechnung. Der Schwerpunkt liege gerade darin, zur gemeinsamen Einnahmeerzielung zusammen zu arbeiten. Diese Kooperationsform müsse durch den Zulassungsausschuss vorher genehmigt werden.
Bei der "Praxisgemeinschaft" gehe es hingegen vor allem um die gemeinsame Nutzung der Räume und Einrichtungen sowie die Beschäftigung von gemeinsamem Hilfspersonal. Das diene vorrangig nicht dem Zweck der gemeinsamen Einnahmeerzielung, sondern der Senkung der jeweiligen Kosten. Die Praxen hätten dabei nach wie vor verschiedene Patientenstämme und entsprechend auch verschiedene Patientenkarteien.
Nicht nur eine Frage der Quoten
Laut den Abrechnungsprüfungsrichtlinien (ARL) dürfe die Prüfstelle der Krankenkassen-Verbände ab einer auffälligen Überschneidung von 20% weitere Untersuchungen anstellen. Wenn sich dann herausstellen sollte, dass mehr als 50% der Patientinnen und Patienten gemeinsam behandelt würden, sei "jedenfalls" von einem Missbrauch der Praxisgemeinschaft auszugehen, um künstlich Honorare zu erhöhen. Unter Umständen könnten auch Quoten weit unter 50% ausreichen. In diesem Fall waren Überschneidungen von anfänglich 50% festgestellt worden, die innerhalb von 10 Quartalen stetig auf 25,5% geschrumpft waren. Danach war die Praxis auch offiziell als Gemeinschaftspraxis fortgeführt worden.
Die Erklärungen des Arztes hätten nicht ausgereicht, um den festgestellten Missbrauch der Organisationsform auszuräumen. Das regelmäßige Einlesen der Versichertenkarten weise schon drauf hin, dass die Praxen nicht ausreichend getrennt worden seien. Diese seien "praktisch durchweg" am selben Tag in beiden Praxen erfolgt. Der Einwand der "üblichen Praxis" trage nicht, da es die Aufgabe der Praxen selbst sei, ihre Trennung im Innen- und Außenverhältnis transparent zu gestalten. Dafür sprächen auch die Vertretungen, die meist ohne Vertreter- oder Notfallscheine einhergegangen seien – in der Tat auf "Zuruf" nach kollegialer Art.
Die Überweisungen würden ebenfalls auf eine gemeinsame Patientenbehandlung hindeuten. Denn Überweisungen an andere Vertragsärzte seien per Gesetz "in der Regel" Auftragsleistungen, bei denen der überweisende Arzt schon im Vorfeld bestimmen "soll", welche Leistungen durchzuführen sind. Daran sei der empfangende Arzt auch gebunden. Solche Überweisungen seien hier überhaupt nicht erfolgt, im Gegenteil seien unbeschränkte Blankozuweisungen erteilt worden, bei denen der jeweils andere Arzt selbst über die Leistungen entscheiden sollte. Der Verzicht auf eine nähere Dokumentation sei gerade kennzeichnend für eine gemeinsame Patientenbehandlung einer Gemeinschaftspraxis. Der Arzt habe dabei vertragsärztliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und daher auch grob fahrlässig gehandelt.
LSG Berlin-Brandenburg bestätigt
Die Berufung des Arztes zum LSG Berlin-Brandenburg hatte keinen Erfolg. Das Gericht ließ offen, ob die Überschneidungsquoten zwischen 25,42% und 50,24% bereits für sich genommen schwer genug wiegen. Denn die weiteren Indizien würden "offenkundig und nach jeder denkbaren Betrachtung" die Grenzen einer bloßen Praxisgemeinschaft überschreiten.
Der Arzt hatte behauptet, dass die Versichertenkarten nicht grundsätzlich gleichzeitig am selben Tag eingelesen wurden, sondern nur dann, wenn Bedarf für eine weitere Behandlung durch den anderen Arzt festgestellt worden sei. Der 7. Senat zweifelte an, dass dadurch eine 71%ige Überschneidung der Einlesungen zustande kommen würde, zumal beide der gleichen Fachrichtung angehörten. Überweisungen an einen anderen Vertragsarzt derselben Fachgruppe seien laut dem Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) grundsätzlich ausgeschlossen.
Bezüglich der Blankoüberweisungen sehe das Gesetz in der Tat nur "grundsätzlich" – und damit nicht unbedingt verbindlich – vor, dass (Verdachts-Diagnosen) und Befunde auf der Überweisung mitgeteilt würden. Blankoüberweisungen seien damit zwar grundsätzlich kein Rechtsverstoß, es falle aber durchaus ins Risiko des Arztes, dass sich die Überweisungen im Falle einer Prüfung dann nicht mehr vollständig nachvollziehen ließen. Den Anschein, dass ein enger persönlicher Austausch zwischen den beiden (eigentlich getrennten) Praxen bestand, habe er daher nicht ausräumen können. Daher habe der Arzt das Gericht auch nicht überzeugen können, dass die gegenseitigen Überweisungen wegen der Chiropraktik- bzw. Akupunktur-Expertise ausgestellt worden seien. Die Blankoschecks selbst hätten dafür nichts hergegeben, und die vermeintlichen Spezialbehandlungen hätten in den streitigen Fällen nachweislich nicht einmal stattgefunden. An den häufigen Vertretungen nahm das LSG ebenfalls Anstoß. Die kollegiale Vertretung "auf Zuruf" und nach täglicher Notwendigkeit sei gerade in Gemeinschaftspraxen üblich. Der Einwand, es sei "praxisfern" gewesen, Patientinnen und Patienten wegzuschicken, ließ das Gericht ebenso nicht gelten.
Die Krankenkasse durfte das Honorar für die Hälfte der rechtswidrigen Überschneidungsfälle zurückfordern, wobei dies bereits um die Fälle bereinigt worden sei, in denen es tatsächlich zu Akupunkturen bzw. chiropraktischen Behandlungen gekommen war.