Sturz eines Azubis vom Jugendherbergsdach bei Ausbildungsfahrt ist Arbeitsunfall

Stürzt ein Jugendlicher bei einem vom Ausbildungsbetrieb durchgeführten Einführungsseminar vom Dach einer Jugendherberge, liegt auch dann ein Arbeitsunfall vor, wenn er in der Nacht über das Dach zum Mädchenquartier wollte. Dies hat – wie das Rechtsportal anwaltauskunft.de mitteilt – das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 14.12.2021 entschieden. Auch eine leichte Alkoholisierung sei unschädlich für den Anspruch.

Azubi stürzte bei Ausbildungsfahrt vom Dach der Jugendherberge

Der lernbehinderte 17-jährige Kläger begann im September 2014 eine durch die Bundesagentur für Arbeit geförderte Ausbildung zum Fachpraktiker Hauswirtschaft. Im November 2014 fand in der Jugendherberge eine dreitägige Einführungsveranstaltung für die Auszubildenden aus verschiedenen Bereichen mit insgesamt 11 Auszubildenden statt. Nachdem der Kläger leicht alkoholisiert von den Betreuern gegen 23.00 Uhr aus dem benachbarten Mädchenzimmer geschickt wurde, versuchte er über das Dach zurückzukommen. Als er dabei den Halt verlor, stürzte er aus etwa 8 Metern Höhe auf den Boden und zog sich schwere Verletzungen zu. Seitdem ist sein linker Arm massiv bewegungseingeschränkt.

Berufsgenossenschaft verweigerte Einstandspflicht

Nachdem die Berufsgenossenschaft den Sturz zunächst noch als Arbeitsunfall anerkannte und deshalb einen Vorschuss zahlte, verlangte sie später das Geld zurück, weil kein Arbeitsunfall vorliege. Der Versuch ins benachbarte Mädchenzimmer zu klettern stehe grundsätzlich in keinem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit als Teilnehmer der Ausbildung. Dies sei dem privaten unversicherten Bereich zuzuordnen. Hinzu komme, dass der Kläger alkoholisiert gewesen sei. Es sei bekannt, dass auch bei Erwachsenen Hemmschwellen und Gefahrenbewusstsein bei zunehmendem Alkoholspiegel abnähmen. Das Landessozialgericht hat nun der Klage stattgegeben und die Berufsgenossenschaft verpflichtet, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Unreifes Verhalten und leichter Alkoholkonsum vorliegend unschädlich

Teilnehmer an einer von der Bundesagentur für Arbeit geförderten Ausbildungsmaßnahme seien bei allen Verrichtungen während des Einführungsseminars unfallversichert, die in innerem Zusammenhang mit der Ausbildung stünden. Das Klettern über das Dach der dreistöckigen Jugendherberge in Richtung des benachbarten Mädchenzimmers gehöre dazu. Der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit sei auch nicht dadurch aufgehoben, dass sich der Kläger – objektiv betrachtet – in hohem Maße unvernünftig und gefahrbringend verhalten habe. Sein Sturz sei Folge seiner altersbedingten Unreife und eines für Jugendliche seines Alters typischen gruppendynamischen Prozesses gewesen. Auch der Alkoholkonsum ändere nichts an der Beurteilung. Dieser sei zwar nach der Hausordnung der Jugendherberge verboten gewesen, lasse aber den Versicherungsschutz ebenfalls nicht entfallen, zumal der Kläger nur leicht alkoholisiert gewesen sei und keine besonderen Auswirkungen der Alkoholisierung habe erkennen lassen.

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.12.2021 - L 9 U 180/20

Redaktion beck-aktuell, 10. März 2022.

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