LSG Baden-Württemberg: Versicherte mit fortgeschrittener Multipler Sklerose erhalten aufwendiges Fußheber-System bezahlt

Gesetzlich Versicherte, die an fortgeschrittener Multipler Sklerose leiden und dadurch in ihrer Gehfähigkeit stark beeinträchtigt sind, haben gegen ihre Krankenkasse Anspruch auf Versorgung mit dem technisch aufwendigen Fußheber-System Ness L 300 zur funktionellen Elektrostimulation. Dies hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteilen vom 15. und 19.06.2018 entschieden. Da es sich um ein Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich handele, stünden weder wirtschaftliche Gesichtspunkte noch eine fehlende positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses entgegen (Az.: L 4 KR 531/17 und L 11 KR 1996/17).

Klägerinnen begehrten Versorgung mit Fußheber-System Ness L 300

Die Klägerinnen leiden an fortgeschrittener Multipler Sklerose und sind dadurch stark in ihrer Gehfähigkeit beeinträchtigt. Sie beantragten bei ihren Krankenkassen, gestützt auf ärztliche Verordnungen, die Versorgung mit dem Fußheber-System Ness L 300 als Hilfsmittel, das etwa 5.500 Euro (plus verschiedene Zusatzkosten wie Einweisung, Anpassung, Software-Update) kostet. Das System sendet drahtlos kleine elektrische Impulse an den Wadenbeinnerv und stimuliert dadurch die Fußheber. Es erfasst in Echtzeit die Gehposition, die verschiedenen Gehgeschwindigkeiten sowie Änderungen in der Untergrundbeschaffenheit.

Krankenkassen verwiesen auf günstigere Hilfsmittel und fehlende positive G-BA-Empfehlung

Die Krankenkassen lehnten die Anträge ab und begründeten dies damit, dass herkömmliche kostengünstigere und für die Versorgung ausreichende Fußhebeorthesen oder Peronäusschienen zur Verfügung stünden. Außerdem habe der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) keine positive Empfehlung für diese Art der Krankenbehandlung abgegeben. Die Sozialgerichte gaben den Klagen statt. Dagegen legten die Krankenkassen Berufung ein.

LSG: Positive G-BA-Empfehlung bei Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich nicht erforderlich

Die Berufungen blieben ohne Erfolg. Eine positive Empfehlung des G-BA sei nicht erforderlich, da vorliegend nicht eine (neue) Methode der Krankenbehandlung in Frage steht, erläutert das LSG. Das Fußheber-System könne keine positive Auswirkung auf den Verlauf der MS-Erkrankung selbst haben. Es diene nicht der eigentlichen Krankenbehandlung, sondern habe als Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich das Ziel, die Gehfähigkeit und Mobilität der Versicherten zu verbessern. 

Anspruch auf möglichst weitgehenden Ausgleich des Funktionsdefizits

Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs dürften Versicherte nicht auf kostengünstigere, aber weniger wirksame Hilfsmittel verwiesen werden, sondern hätten Anspruch auf einen möglichst weitgehenden Ausgleich des Funktionsdefizits unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Beide Senate hätten sich überzeugt davon gezeigt, dass das neue Fußheber-System entscheidende Verbesserungen für die Gehfähigkeit und Mobilität der Versicherten mit sich bringe und daher die Versorgung damit erforderlich und gerechtfertigt sei.

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.06.2018 - L 4 KR 531/17

Redaktion beck-aktuell, 2. Juli 2018.

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