Lkw-Kartell: Betroffene Unternehmen können auch in ihrem Sitzstaat auf Schadensersatz klagen
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Ein Unternehmen, das wegen des europäischen Lkw-Kartells überhöhte Preise für Fahrzeuge bezahlen musste, kann in dem Land auf Schadensersatz klagen, in dem es seinen Firmensitz hat. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Gebe es dort kein auf Kartellschadensersatzklagen spezialisiertes Gericht, könne es das Gericht anrufen, in dessen Bezirk es seinen Sitz habe, wenn die Käufe an verschiedenen Orten in dem Land erfolgt seien.

Spanisches Unternehmen verklagte Beteiligte des Lkw-Kartells in Spanien

Ein spanisches Unternehmen hatte zwischen 2004 und 2009 bei einem Vertragshändler der Volvo Group España in Madrid fünf Lkws erworben. 
2016 stellte die Europäische Kommission eine Kartellabsprache fest, an der zwischen 1997 und 2011 15 internationale Lkw-Herstellern beteiligt waren. Dazu gehörten auch  Volvo (Schweden), Volvo Group Trucks Central Europe (Deutschland) und Volvo Lastvagnar (Schweden). Die  Kommission war der Auffassung, dass sich die Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV über den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) erstreckt habe, und verhängte - mit einer Ausnahme - gegen alle beteiligten Unternehmen Geldbußen. Das spanische Unternehmen klagte vor einem Gericht in Madrid gegen Volvo, Volvo Group Trucks Central Europe, Volvo Lastvagnar und Volvo Group España auf Zahlung von Schadensersatz wegen Zahlung überhöhter Preise für die erworbenen Lkw.

Kartellbeteiligte bestreiten internationale Zuständigkeit des Gerichts

Die Gesellschaften des Volvokonzerns bestritten zwar nicht die örtliche Zuständigkeit des spanischen Gerichts, wohl aber dessen internationale Zuständigkeit. Nach ihrer Auffassung ist das schädigende Ereignis im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit (Brüssel Ia-VO) hier nicht an dem Ort des Sitzes der klagenden spanischen Gesellschaft eingetreten, sondern an dem Ort, an dem die Lkw-Kartellabsprache getroffen worden sei, also in anderen Mitgliedstaaten. Das spanische Gericht legte die Frage dem EuGH vor.

EuGH: Klage am Ort des Firmensitzes möglich

Laut EuGH ist für eine solche Kartellschadensersatzklage innerhalb des von den illegalen Absprachen betroffenen Marktes international und  örtlich unter dem Gesichtspunkt des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs entweder dasjenige Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Unternehmen, das sich für geschädigt erachte, die von den genannten Absprachen betroffenen Gegenstände gekauft habe, oder – wenn das betroffene Unternehmen die Gegenstände an mehreren Orten gekauft habe – dasjenige Gericht, in dessen Bezirk sich der Sitz dieses Unternehmens befinde. 

Ort der Schadensverwirklichung in Spanien

Mit dem "Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist" im Sinne von Art. Nr. 2 der Verordnung  (EU) 1215/2012 sei sowohl der Ort gemeint, an dem sich der Schadenserfolg verwirklicht habe als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens, sodass der Beklagte nach Wahl des  Klägers vor dem Gericht eines dieser beiden Orte verklagt werden kann. Der EuGH weist darauf hin, dass sich die Preisabsprachen im vorliegenden Fall auf den gesamten europäischen Wirtschaftsmarkt ausgewirkt und dort zu einer Wettbewerbsverzerrung geführt hätten. Der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs liege also in diesem Markt, zu dem Spanien gehöre. 

Mitgliedstaaten können spezialisiertes Gericht vorsehen   

Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) 1215/2012 weise dem Gericht desjenigen Ortes, an dem der Schaden eingetreten sei, direkt und unmittelbar sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit zu. Allerdings falle die Festlegung des Gerichtsbezirks, in dem sich der Ort der  Verwirklichung des Schadenserfolgs befinde, grundsätzlich unter die organisatorischen Befugnisse des Mitgliedstaats, zu dem dieses Gericht gehörte. Dieser Mitgliedstaat könne Zuständigkeiten – etwa im Interesse einer geordneten Rechtspflege – vor einem einzigen spezialisierten Gericht bündeln. 

Zuständigkeit bei Fehlen eines spezialisierten Gerichts

Gebe es kein spezielles Gericht, sei im Einklang mit den Zielen der Nähe und der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsregeln sowie der geordneten Rechtspflege das zuständige Gericht zu bestimmen: Habe der geschädigte Käufer in nur einem einzigen Gerichtsbezirk Lkws gekauft, sei das Gericht dieses Bezirks zuständig. Habe das Unternehmen hingegen mehrere Lkws an mehreren Orten gekauft, könne es das Gericht des Ortes anrufen, an dem es seinen Sitz habe. Diese Zuweisung sei zulässig, weil den beklagten Kartellmitgliedern nicht unbekannt sein könne, dass die Käufer der Lkws im von den Kartellpraktiken betroffenen Markt ansässig seien. Zudem trage dies auch dem Ziel der räumlichen Nähe Rechnung, und der Ort, an dem das geschädigte Unternehmen seinen Sitz habe, biete alle Garantien für die sachgerechte Gestaltung eines eventuellen Prozesses.

EuGH, Urteil vom 15.07.2021 - C-30/2

Redaktion beck-aktuell, 16. Juli 2021.