Selten hat eine einzelne Recherche solche Konsequenzen gehabt. Der Bericht "Geheimplan gegen Deutschland" des Recherche-Magazins Correctiv treibt gerade Millionen Menschen auf die Straße, die gegen das politische Erstarken der neuen Rechten demonstrieren. Zwei in dem Artikel über das Treffen rechter und rechtsextremistisch Gesinnter in Potsdam Genannte gehen nun gerichtlich gegen die Berichterstattung vor.
Die Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz laufen vor der Pressekammer des LG Hamburg (Az. 324 O 61/24). Antragsteller sind der Jurist Dr. Ulrich Vosgerau (CDU), der sich unvollständig wiedergegeben fühlt, und ein bei dem Treffen nur erwähnter Spender. Doch selbst wenn sie obsiegten, müsste Correctiv lediglich einzelne Sätze diese Personen betreffend ändern. Die brisanten Tatsachen aus dem Bericht blieben vollständig bestehen, ihnen hat niemand rechtlich widersprochen. Ebenso wenig den darauf basierenden Wertungen der Redaktion. Diese seien als Meinungsäußerungen zulässig, darin sind sich die Anwälte von Vosgerau und Correctiv sogar einig.
Dennoch wird dieser Prozess gerade zum Ausgangspunkt für einen darüber hinausgehenden Kampf um die Deutungshoheit der gesamten Enthüllungen, ausgelöst hauptsächlich durch die Litigation-PR des anwaltlichen Vertreters der beiden Antragsteller in den (sozialen) Medien, Dr. Carsten Brennecke, Gründungspartner der Kölner Medienrechtskanzlei Höcker. Unter Anwältinnen und Anwälten geht die Debatte noch einen Schritt weiter: Wie sinnvoll ist die prozessbegleitende Berichterstattung, was darf sie und gibt es berufsethische Grenzen?
Eidesstattliche Versicherungen als Litigation-PR
Kurz nach Beginn des Prozesses in Hamburg veröffentlichte Vosgeraus Anwalt Brennecke sieben eidesstattliche Versicherungen von Teilnehmenden des Potsdamer Treffens. Deren zentrale Aussage: Auf dem Treffen sei nicht von der (Zwangs-)Ausweisung deutscher Staatsbürger oder einer Ausweisung nach rassistischen Kriterien gesprochen worden. Damit sei "die zentrale Behauptung des Correctiv-Berichts, die momentan die Menschen auf die Straße treibt, (…) widerlegt" worden, schlussfolgerte Brennecke medienwirksam, u.a. auf X (ehemals Twitter) und in der Welt.
Correctivs Prozessvertreter, Thorsten Feldmann von JBB Rechtsanwält:innen, ist irritiert: "Diese eidesstattlichen Versicherungen sind völlig unnötig." Sie beträfen zum einen nicht den Gegenstand des Verfahrens. Zum anderen könne man nur Tatsachen widersprechen und hier gehe es um Meinungsäußerungen. Feldmann findet, Brennecke "zweckentfremdet ein gerichtliches Verfahren, um die Öffentlichkeit auf einen anderen Punkt zu lenken. Die Leute sollen sich nur noch mit seiner Deutung auseinandersetzen und nicht mehr mit dem Artikel."
Auch der bekannte und in sozialen Netzwerken selbst sehr aktive Würzburger Rechtsanwalt Chan-Jo Jun, selbst nicht am Verfahren beteiligt, weist in einem Video auf diesen Widerspruch hin: Zweck des Ganzen sei offensichtlich Litigation-PR. Carsten Brennecke stimmt Jun in diesem Punkt sogar offen zu – natürlich gehe es vor allem darum. Und dafür gebe es gute Gründe.
Kann Litigation-PR notwendig sein?
Doch was ist eigentlich Litigation-PR? Die Abkürzung "PR" steht für "Public Relations", also "Öffentlichkeitsarbeit". Litigation-PR meint damit die strategische Kommunikation rund um einen Rechtsstreit. Die Mittel sind vielfältig, neben Äußerungen in klassischen Medien, Pressemitteilungen oder presserechtlichen Informationsschreiben, wie sie die Kanzlei Schertz Bergmann zuletzt auch im Fall des Rammstein-Sängers Till Lindemann nutzte, spielen heute auch die sozialen Medien eine immer größere Rolle. Chan-Jo Jun zum Beispiel hat allein auf X knapp 94.000 Follower. Inhaltlich geht meist darum, juristisch komplexe Sachverhalte so zu "übersetzen", dass auch der juristische Laie sie versteht. Nur eben so, wie es für den Mandanten günstig ist. Der so gelenkte öffentliche Diskurs soll letztlich mittelbar auch den Prozess selbst beeinflussen.
Das Konzept von Litigation-PR ist in den 1980-er Jahren in den USA entstanden, unter diesem Begriff aber erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten zunehmend in Deutschland bekannt geworden. Brennecke betont allerdings, dass die Praxis selbst schon "hundert Jahre alt" sei. Was er für Ulrich Vosgerau mache, sei das, was Anwälte üblicherweise machten: "Es ist die von der anwaltlichen Arbeit untrennbare Kommunikation der Position des Mandanten in der Öffentlichkeit." Gerade in Zeiten sich schnell verbreitender Meinungen über Social Media werde das immer wichtiger, besonders im Äußerungsrecht. "Wenn wir uns nur auf die juristische Klaviatur verlassen, werden unsere Mandanten von der Mediendynamik und dem darauf folgenden Shitstorm überrollt." Deshalb böten "führende Presserechtler" die "Übersetzung gegenüber der Öffentlichkeit, wogegen sich der Mandant wehrt und aus welchen Gründen er sich wehrt", als untrennbaren Teil der juristischen Arbeit mit an - "um für Ausgewogenheit zu sorgen".
Correctiv-Anwalt Feldmann, selbst Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und aus öffentlichkeitswirksamen Prozessen ebenfalls bekannt, hat zu Litigation-PR eine grundlegend andere Haltung: Er äußere sich prinzipiell nicht proaktiv zu laufenden Verfahren. Wenn jedoch – wie hier – der Gegner so massiv Meinungsbildung betreibe und deshalb laufend Journalistinnen und Journalisten bei ihm anriefen, würde er dazu gedrängt, sich zu äußern. "Schließlich ist nichts schlimmer als der Satz ‚Correctiv wollte sich nicht zur Sache äußern‘ in einem Bericht." Die mit seinen Mandanten abgesprochene kommunikative Linie sei jedoch klar: Die Fakten aus dem Bericht sprechen für sich.
Die Herrschaft über den Diskurs
Brennecke zeichnet hingegen ein anderes Bild vom Correctiv-Bericht. Seiner Meinung nach habe die Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild davon, was tatsächlich im Artikel stehe. Was daran liege, dass Correctiv wertende Schlussfolgerungen darin eingebaut habe. Wenn die Journalisten etwa von einem "Masterplan zur Ausweisung von deutschen Staatsbürgern" sprechen, verstünden die meisten Menschen nicht, dass das eine Meinungsäußerung und keine Tatsache sei. "Sie glauben der falschen ‚Legende‘, es sei explizit über die Ausweisung deutscher Staatsbürger nach rassistischen Kriterien gesprochen worden. Diese ‚Scheinrealität‘ schädigt aber meinen Mandanten."
Es gehöre zur anwaltlichen Öffentlichkeitsarbeit, öffentlich richtigzustellen, wenn ein Mandant öffentlich in ein falsches Licht gerückt worden sei. Diese diene zudem auch dazu, "möglichen Missverständnissen der Richter zuvorkommen", so Brennecke. Juristisch hält er sein Vorgehen ebenfalls für relevant: Weil es in der Abwägung im Presserecht auch immer um den Gesamteindruck des Artikels gehe, könne das Gericht zumindest am Rande mit einbeziehen, ob dem "Hauptvorwurf" entgegengetreten werde oder nicht.
Dieses Argument des "Hauptvorwurfs" bezeichnet Chan-Jo Jun hingegen als konstruiert. Nicht die möglicherweise geplante (rechtswidrige) "Ausweisung" deutscher Staatsbürger treibe die Menschen auf die Straße. Sondern, dass einflussreiche Rechtsextreme und Konservative (deutsche) Menschen mit Migrationshintergrund überhaupt loswerden möchten – mit welchen Mitteln auch immer.
Correctiv hat zwischenzeitlich gekontert und legte selbst gleich acht eidesstattliche Versicherungen vor. Darin bestätigen die Redakteure im Wesentlichen die Richtigkeit der im Bericht stehenden Fakten. Dass Teile des Berichts als Meinungsäußerungen formuliert sind, streitet die Rechercheplattform nicht ab - warum auch. Es gehe hier nur um "die Herrschaft über den Diskurs", schrieb Feldmann in seiner 47-seitigen Antragserwiderung. Was Brennecke zu bestätigen scheint, wenn er in der Überschrift eines Tweets daraufhin proklamierte: "Die Correctiv-Legende zum Potsdam–Treffen ist endgültig widerlegt".
Die Wirkung von Litigation-PR im Fall Correctiv
"Brennecke macht hier selbst, was er Correctiv vorwirft", findet IT- und Wirtschaftsrechtler Jun: "Er betreibt Framing, indem er die Aufmerksamkeit auf nur einen Aspekt lenkt, die unbestrittenen Tatsachen ausblendet und so das Narrativ des gesamten Berichts beeinflusst."
Brennecke sieht das naturgemäß anders. Im Gespräch mit beck-aktuell erläutert er, worum es ihm mit seiner Litigation-PR geht: "Kritische Berichterstattung ist wichtig. Doch Journalisten sollten Sachwalter und keine Aktivisten sein. Sonst nimmt die Glaubwürdigkeit des Journalismus Schaden". Die schiefen Wertungen von Correctiv seien überschießend inszeniert und vermittelten dem Leser ein falsches Bild, das er korrigieren wolle. Den Tatsachenkern der Berichterstattung und das Treffen wolle er öffentlich überhaupt nicht relativieren. "Da enthalte ich mich öffentlich jeder Meinung."
Doch ob Brennecke es nun bezweckt hat oder nicht: Seine Angriffe auf den vermeintlichen Hauptvorwurf des Berichts haben nicht etwa eine Diskussion über das Für und Wider von Wertungen im Journalismus entfacht. Sondern einschlägige Medien und Kommentatoren vom rechten Rand nahmen sie dankbar auf und begannen, den Bericht in Gänze zu diskreditieren. Brennecke räumt dazu ein, dass es sein könne, dass seine Kritik an einer Berichterstattung auch von anderen Interessentengruppen ausgenutzt werden könne. Eine sachliche Kritik werde aber nicht dadurch falsch, "dass auch die 'falschen' Personen sich der Kritik anschließen".*
Correctivs Anwalt Feldmann erzählt, er erhalte Mails, in denen man ihm vorwerfe, ein "Verräter" zu sein und "kriminelle Lügner" zu schützen. Der gesamte Bericht sei "erstunken und erlogen". Auch abseits solcher Extremfälle hätten mittlerweile die meisten Menschen eine falsche Auffassung davon, was Gegenstand des Gerichtsverfahrens sei. "Das liegt allein an der Litigation-PR." Sollte die einstweilige Verfügung im Fall Vosgerau tatsächlich teilweise durchgehen, sei ihm bereits klar, wie gewisse Kreise dies instrumentalisieren würden.
Welches Mandat kann annehmen, wer Litigation-PR macht?
Diese Dynamik rund um die Rezeption des Correctiv-Berichts nahm Johannes Brand, Gesellschaftsrechtler von Buse, zum Anlass, auf LinkedIn zu fragen: "Wie wählerisch [können, wollen, dürfen] Anwälte bei der Mandatsauswahl sein? […] Der Anwaltsberuf erfordert nach meinem Verständnis eine gewisse Grundidentifikation mit dem Mandanten. Und wenn man sieht, wie Kollege Brennecke sich hier und auf Twitter für seine Mandanten ins Zeug legt, geht das über die reine gerichtliche Mandatsbearbeitung hinaus."
Chan-Jo Jun, der unter anderem mit der Vertretung von Renate Künast im Verfahren wegen Hatespeech gegen Facebook bundesweite Bekanntheit erlangte und selbst aktiv Litigation-PR für Mandantinnen und Mandanten betreibt, hat dazu eine klare Position: "Ich suche mir meine Mandanten genau aus, da betreibe ich keine Daseinsvorsorge," berichtet er im Gespräch. "Wir haben das Prinzip, zur Position unserer Mandanten auch stehen zu können. Das ist nicht klassisch für Anwälte, führt aber zu mehr Glaubwürdigkeit."
Diese Haltung beeinflusse auch seine Litigation-PR: "Wenn ich mich öffentlich für die Sache eines Mandanten in den Ring werfe, mache ich das ebenfalls nur, wenn ich dahinterstehe und ohne es mit dem Mandanten abzustimmen. Es wäre für mich auch undenkbar, dafür bezahlt zu werden." Anwaltliche Distanz? Sieht Jun nur als Rechtfertigung von Anwälten, die nicht mit den Interessen ihrer Mandanten übereinstimmen.
Brenneckes Haltung ist genauso klar: "Ich habe – abgesehen von verbotenen Organisationen - keine rote Linie bei den Mandaten, die ich annehme". Für diese Haltung ist die Kanzlei Höcker bekannt. Sie hat bereits bereits mehrfach die AfD, AfD-Politikerinnen und Politiker wie auch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vertreten. Auch im Gespräch mit beck-aktuell betont Brennecke aber, auch Politikerinnen und Politiker aus CDU, SPD und den Grünen vertreten zu haben. Und "wir haben auch schon Gruppierungen vertreten, denen Islamismus vorgeworfen wurde", ergänzt er. Seine Kanzlei wolle allen zu ihrem Recht verhelfen, ungeachtet der moralischen Bewertung. Und eine gute Vertretung erfasse eben auch den kommunikativen Teil.
Den Vorwurf, er mache sich, wenn nicht durch die Übernahme des Mandats, dann doch jedenfalls durch proaktive Kommunikation auch über die eigenen persönlichen Social-Media-Kanäle mit den Interessen seiner Mandanten gemein, will Brennecke differenziert gesehen wissen: "Ich mache mich gemein mit ihren rechtlichen und daraus abgeleiteten kommunikativen Interessen. Niemals mit den moralischen, politischen und wirtschaftlichen." Viele Reaktionen in den sozialen Medien auf seine Posts und öffentliche Auftritte zeigen, dass selbst die juristische Fachöffentlichkeit diese Differenzierung so offenbar nicht durchweg vornimmt.
Auf Nachfrage bestätigt der Kölner Anwalt, auch für den kommunikativen Teil seiner Arbeit nach Stundensatz bezahlt zu werden. Einen gesonderten Vertrag gebe es dafür nicht, weil es sich dabei um "die übliche und von der anwaltlichen Arbeit untrennbare Kommunikation der Position des Mandanten in der Öffentlichkeit" handle. "Wir arbeiten ja nicht gewerblich" betont er. Litigation-PR sei nur ein "kommunikativer Annex" des anwaltlichen Mandats im Presserecht, so Brennecke.
Der rechtliche Rahmen
Eine anwaltliche Tätigkeit wäre mit einer gewerblichen nach anwaltlichem Berufsrecht grundsätzlich nicht vereinbar. Ansonsten scheint Litigation PR im anwaltlichen Berufsrecht bisher keine relevante Rolle zu spielen. Die Hürden für Einschränkungen des freien Berufs sind hoch: So hat etwa das Sachlichkeitsgebot des § 43a BRAO nach der Auslegung des BVerfG nur einen minimalen Anwendungsbereich, etwa bei vorsätzliche Lügen oder strafbaren Beleidigungen.
Arno Lampmann, Partner der ebenfalls in Köln beheimateten Kanzlei LHR, hält Litigation-PR im Einzelfall dennoch auch für rechtlich potenziell relevant. Gegenüber beck-aktuell erläuterte er, es bestehe "ein erhöhtes Risiko, in die Falle der Irreführung zu tappen." Eine kritische Grenze werde insbesondere dann erreicht, wenn ein Anwalt selektiv berichte, indem er juristische Sachverhalte mal vereinfacht darstelle, um Laien nicht zu korrigieren, und sie an anderer Stelle wiederum mit fachlicher Genauigkeit behandele – je nachdem, was seine Argumentation am besten unterstütze.
Derart irreführende Litigation-PR-Äußerungen könnten laut Lampmann gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verstoßen. Konkret gegen dessen § 5 (Irreführung), § 4 Nr. 1 (Herabsetzung von Mitbewerbern) oder § 6 Abs. 2 Nr. 2, 5 (unzulässige vergleichende Werbung). Je nach Situation könnten dann Mitbewerber des Mandanten, gegnerische Anwälte oder – sollte irreführende Litigation-PR zugleich der Mandantenakquise dienen – alle mit dem "übermütigen Kollegen" im Wettbewerb stehenden Anwälte dagegen vorgehen. Im Äußerungsrecht könnten unwahre oder unvollständige Äußerungen das allgemeine (Unternehmer-)Persönlichkeitsrecht verletzen.
Litigation-PR war wohl nie einfacher, wohl nie zuvor standen die Chancen besser, die öffentliche Deutungshoheit zu verschieben, als in Zeiten schnellster Stimmungs- und Empörungsbildung durch Social Media. Dass - um ein ‚Bonmot‘ von Gesellschaftsrechtler Johannes Brand aufzugreifen - aus der anwaltlichen Litigation-PR schnell anwaltliche PR-Litigation werden kann, ist wohl nur eines der Risiken, die damit einhergehen, auch für das anwaltliche Selbstverständnis.
Anne Herr ist Volljuristin und freie Journalistin in Köln. Rechtsanwältin Pia Lorenz, LL.M. oec. ist Chefredakteurin von Beck-aktuell und Mitglied der Schriftleitung der NJW.
*Anm. d. Red.: Statement von Dr. Carsten Brennecke nachgetragen am Tag der Veröffentlichung, 23:53 Uhr (pl).