Weit mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Gewalttat an einer Frau in Sindelfingen ist ein mittlerweile 72-Jähirger ein zweites Mal wegen derselben Tat zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt worden. Mehrere Monate nach Beginn der aufsehenerregenden Wiederaufnahme des Verfahrens sprach ihn das Landgericht Stuttgart ein weiteres Mal schuldig, 1995 eine Frau angegriffen und mit zahlreichen Messerstichen getötet zu haben.
BGH hob erstes Urteil auf
Im Juli 2021 hatte ihn eine andere Kammer des LG bereits in dem Fall zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Allerdings hatte der BGH das Mordmerkmal der Heimtücke als nicht ausreichend bewiesen gewertet und das Urteil aufgehoben. Zweifel an der Schuld des Mannes gab es zuvor zwar keine. Das LG hätte die Tat aber auch als Totschlag werten können. Dann wäre das Verbrechen verjährt und der Rentner ein freier Mann gewesen.
Mord verjährt nicht
Staatsanwaltschaft und Nebenklage hatten eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes gefordert. Die Nebenklage hatte zudem dafür plädiert, eine besondere Schwere der Schuld festzustellen. Die Verteidigung hatte sich hingegen für einen Freispruch aus Mangel an Beweisen ausgesprochen und für den Fall des Totsschlags auf die Verjährung hingewiesen. Der Angeklagte war schon im Jahr 2007 in einem anderen Fall vom LG Würzburg wegen Totschlags an einer Anhalterin aus Obersontheim (Kreis Schwäbisch Hall) verurteilt worden - auch damals erst im zweiten Anlauf nach einem Freispruch im ersten Prozess.
LG Stuttgart, Urteil vom 09.03.2023 - 19 Ks 114 Js 38181/00
Redaktion beck-aktuell, 10. März 2023 (dpa).
Aus der Datenbank beck-online
BVerfG, Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten – "Mordfall Frederike", NJW 2022, 2389
Singelnstein, Die Erweiterung der Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen, NJW 2022, 1058
Burhoff, Wiederaufnahme im Straf- oder Bußgeldverfahren, ZAP 2022, 197
Schiffbauer, "Unerträglich" als valides Argument des Gesetzgebers? - Aktuelle Normsetzung und das Konzept des Rechts, NJW 2021, 2097
Aust/Schmidt, Ne bis in idem und Wiederaufnahme, ZRP 2020, 251
Aus dem Nachrichtenarchiv
Frederike-Mordfall: Verdächtiger bleibt weiter auf freiem Fuß, Meldung der beck-aktuell-Redaktion vom 22.12.2022, becklink 2025771
Ne bis in idem - oder etwa doch?, Meldung der beck-aktuell-Redaktion vom 07.03.2022, becklink 2022446
Strafverfolgung nach Freispruch: Buschmann hat Zweifel an Reform, Meldung der beck-aktuell-Redaktion vom 11.01.2022, becklink 2021920
Steinmeier hat Zweifel an Gesetz zu Wiederaufnahme von Mordverfahren, Meldung der beck-aktuell-Redaktion vom 22.12.2021, becklink 2021842