Fehlende Verteidigung? Nicht, wenn der Verlust der Zulassung verschwiegen wird

Ein Mandant kann sich nicht auf seine fehlende Verteidigung berufen, wenn er weiß, dass sein Pflichtverteidiger über einige Monate lang keine Zulassung mehr hatte. "Grob rechtsmissbräuchlich", lautete die Einschätzung des LG Stuttgart. 

Ein Geschäftsmann erhielt 2020 einen Strafbefehl wegen mittäterschaftlicher Insolvenzverschleppung und ließ sich einen Pflichtverteidiger aus Berlin beiordnen. Die Angeklagten verhinderten drei Jahre lang die Durchführung eines Einspruchstermins durch wechselnde Krankmeldungen. Eine chronologische Übersicht der Terminsverlegungen in einem Beschluss des Amtsgerichts erstreckte sich laut LG Stuttgart über drei Blätter. Schließlich trennte der Strafrichter die Verfahren voneinander ab. Anschließend lud er den Geschäftsmann mitsamt seinem Verteidiger zu einem neuen Termin. Als die Ladung einging, hatte der Pflichtverteidiger schon seit etwas mehr als zwei Monaten keine Zulassung mehr. Die Kammer hatte sie ihm wegen Vermögensverfalls entzogen und den Sofortvollzug angeordnet. Trotzdem trat er gegenüber dem Gericht weiter als Anwalt auf. Zum Termin erschienen weder er noch sein Mandant. Der Einspruch wurde verworfen.

Zwei Wochen später beantragte der Verteidiger über sein beA-Postfach die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für seinen Mandanten. Wie sich später herausstellte, war einen Tag zuvor der Sofortvollzug aufgehoben worden, so dass er wieder als Anwalt tätig sein durfte. Er legte ein pauschales Attest über die angebliche Verhandlungsunfähigkeit seines Auftraggebers vor, das von einem Arzt ausgestellt worden war, der rund anderthalb Stunden vom Wohnort des reiseunfähig Erkrankten entfernt lebte. Der Einspruch wurde unter anderem wegen Fristversäumnis (Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO) verworfen.

Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde enthielt einen Fax-Sendebericht, wonach das Attest angeblich vom Verteidiger am Tag der Hauptverhandlung eingereicht worden war – allerdings sei das Fax versehentlich an das Mahngericht Stuttgart gegangen. Und dieses Schreiben war auch nicht auf dem Briefpapier der Kanzlei erstellt worden, sondern trug den Briefkopf des Mandanten. Der Verteidiger hatte es namentlich unterschrieben, trat aber nicht als Anwalt auf. Das Amtsgericht durchforstete seinen Faxeingang für diesen Tag und fand keine annähernd passenden Einträge.

Im Rahmen der sofortigen Beschwerde erklärte der Verteidiger erstmals, dass er zwischendurch keine Zulassung gehabt hatte. Sein Mandant und er hätte entschieden, das Mandat fortzuführen, da er die Hoffnung gehabt habe, zumindest den Sofortvollzug aufheben zu lassen. Auch aufgrund seiner fehlenden Zulassung hätte der Termin nicht stattfinden dürfen. Das LG Stuttgart verwarf die sofortige Beschwerde.

Kollusives Zusammenwirken mit dem Verteidiger

An sich, so die Stuttgarter Richterinnen und Richter (Beschluss vom 08.11.2023 – 6 Qs 4/23), stehe der Verwerfung des Einspruchs entgegen, dass der Pflichtverteidiger keine Zulassung gehabt habe. Im Fall der notwendigen Verteidigung stehe dem Angeklagten ein Anwalt zu. Da er aber – nach eigenen Angaben seines Verteidigers – von dem Verlust der Zulassung wusste und diese Tatsache dem Gericht ebenfalls verschwieg, hielt das LG das Berufen auf die fehlende Verteidigung für "grob rechtsmissbräuchlich". Wäre er andererseits allein zum Verhandlungstermin gekommen, wäre ihm – auch ohne, dass er ihn hätte bezahlen müssen – ein neuer Verteidiger beigeordnet worden.

Das LG gab den Beteiligten noch ein paar Hinweise mit auf den Weg: So, dass eine Prüfung der Vorgänge um das ominöse Fax "mit Blick auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten" Aufgabe der zuständigen Behörden sei. Weiter erinnerte es an die Strafbarkeit des unbefugten Auftretens als Rechtsanwalt nach § 132 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

Redaktion beck-aktuell, rw, 7. März 2024.