Rund 300 Klagen eingegangen
Die Europäische Kommission hatte die Beklagte und weitere Hersteller von Nutzfahrzeugen wegen kartellrechtswidrigen Handelns zu einem Bußgeld in Milliardenhöhe verurteilt. Im Zusammenhang mit dem Lkw-Kartell sind beim LG Stuttgart rund 300 Klagen wegen Kartellschadenersatzansprüchen eingegangen.
Inkassounternehmen klagt aus abgetretenem Recht
Mit der vorliegenden Klage verlangt ein Inkassounternehmen aus abgetretenem Recht von rund 350 Unternehmen die Zahlung von Kartellschadenersatz in Höhe von rund 96 Millionen Euro zuzüglich Zinsen und die Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten für weitergehende Kartellschäden. Die Klägerin wurde im Oktober 2016 von der Europäischer Ladungs-Verbund Internationaler Spediteure Aktiengesellschaft (E.L.V.I.S.) als 100%ige Tochter gegründet und ist im Februar 2017 nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG bei der zuständigen Behörde für den Bereich Inkassodienstleistungen registriert worden. Die Unternehmen sind größtenteils E.L.V.I.S.-Mitglieder und überwiegend im Transportdienstleistungsbereich tätig.Abtretungen nichtig – Aktivlegitimation fehlt
Das LG Stuttgart hat die Klage des Inkassounternehmens abgewiesen. Die Tätigkeit der Klägerin verstoße gegen § 3 und § 4 RDG. Mithin seien die in Rede stehenden Abtretungen etwaiger Kartellschadenersatzansprüche an die Klägerin wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig, weshalb die Klägerin schon gar nicht Inhaberin etwaiger kartellrechtlicher Schadenersatzansprüche geworden sei. Sie sei daher mangels Aktivlegitimation nicht dazu berechtigt, die vorliegende Klage zu führen.
Inkassobefugnis überschritten
Die Klägerin sei nach dem RDG bei der zuständigen Behörde für den Bereich Inkassodienstleistungen registriert worden. Diese ihr erteilte Rechtsdienstleistungsbefugnis habe die Klägerin aber überschritten. Sie erbringe im vorliegenden Streitfall keine ihr erlaubte Inkassotätigkeit im Sinne des RDG, sondern eine umfassende Rechtsberatung.
Rechtsberatung muss im Hintergrund stehen
Zwar sei es der Klägerin als registrierter Inkassodienstleisterin grundsätzlich nicht verwehrt, im Rahmen des außergerichtlichen Forderungseinzugs in substantieller Weise – auch begleitend zu einem Gerichtsverfahren – Rechtsberatung vorzunehmen. Diese müsse aber dergestalt im Hintergrund stehen, dass es gerechtfertigt sei, das übertragene Mandat noch als Inkassotätigkeit zu werten. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Umfassende Betreuung der rechtlichen Interessen
Vielmehr ergebe sich schon aus der vagen und nicht näher beschränkten Auftragserteilung, dass von der Klägerin eine umfassende Betreuung der rechtlichen Interessen der Unternehmen geschuldet sei. Die Unternehmen hätten der Klägerin keine konkreten Forderungen benannt, deren Einziehung die Klägerin gegenüber der Beklagten vornehmen sollte. Vielmehr sei von diesen (lediglich) ein Sachverhalt mitgeteilt worden, den die Klägerin zunächst habe rechtlich bewerten müssen, um konkrete Forderungen gegen die Beklagte richten zu können. Diese hätten sich nach rechtlicher Prüfung schließlich nicht nur in "bloßen" Zahlungsansprüchen erschöpft. Vielmehr verfolge die Klägerin mit der Klage auch umfassende Feststellungsbegehren.
Gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche bezweckt
Außerdem habe sich die Tätigkeit der Klägerin ganz offensichtlich jedenfalls im Kern auf eine gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche gerichtet. Dies weiche vom typischen Inkasso ab und könne nur dann als Inkassodienstleistung qualifiziert werden, wenn es sich um zeitlich, wirtschaftlich und rechtlich relativ beschränkte Lebenssachverhalte handle. Vorliegend sei angesichts der Vielzahl der hier streitgegenständlichen Fallgestaltungen bei rund 15.000 Einzelforderungen und der Komplexität der damit verbundenen Rechtsfragen das Gegenteil der Fall.
Typische Maß an rechtlicher Schwierigkeit überschritten
Schlussendlich könnten kartellrechtliche Schadenersatzansprüche nicht Gegenstand einer erlaubten Inkassodienstleistung sein. Denn kartellschadenersatzrechtliche Fragestellungen würden das für Inkassodienstleistungen typische Maß an rechtlicher Schwierigkeit grundsätzlich überschreiten.
Interessenkollision bei Klägerin
Im Streitfall bestünden bei der Klägerin auch Interessenskonflikte, die die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gegenüber den Zedenten gefährdeten. Solche Rechtsdienstleistungen seien nach § 4 RDG untersagt. Die vorliegende massenhafte Anspruchsbündelung sei geeignet, die Pflicht der Klägerin zur bestmöglichen Rechtsdurchsetzung gegenüber jedem einzelnen Unternehmen zu beeinträchtigen. Denn die Erfolgsaussichten der Ansprüche der verschiedenen Unternehmen unterschieden sich. Beispielsweise seien einzelne Verträge zur Forderungsübertragung streitig. Streitpunkte, die aber nur einzelne Unternehmen beträfen, zögen den Rechtsstreit dagegen für alle insgesamt in die Länge.
Prozessfinanzierungsabreden problematisch
Interessenskonflikte ergäben sich zudem aus den konkreten Prozessfinanzierungsabreden. Die Klägerin habe sich gegenüber den Unternehmen zur bestmöglichen Durchsetzung der abgetretenen Forderungen verpflichtet. Es liege auf der Hand, dass die persönlichen Erfolgsaussichten der Unternehmen von der Erfolgsaussicht der Sammelklage insgesamt und der Gesamtrendite, wie sie ein Prozessfinanzierer im Blick habe, abweichen. Aus der Abhängigkeit der im Grunde vermögenslosen Klägerin von der Prozessfinanzierung bestehe die konkrete Gefahr des Einflusses sachfremder Entscheidungskriterien auf die Art und Weise der Rechtsdurchsetzung jedes einzelnen Anspruchs, was den Interessen der einzelnen Unternehmen zuwiderlaufen könne.
Gericht sieht Treupflicht kritisch
Gleiches gelte angesichts der Treupflicht, die die Klägerin als 100%ige Tochtergesellschaft des Ladungsverbundes E.L.V.I.S. gegenüber dem Initiator des klägerischen Geschäftsmodells treffe. Die Klägerin müsse dessen Weisungen Folge leisten, auch wenn diese den Interessen der Unternehmen zuwiderliefen, erläuterte das Gericht.