Insolvenzverwalter will Ungereimtheiten um Testat für Konzernabschluss 2016 nachgehen
Es ging um die Handakten, die anlässlich von Jahresabschlussprüfungen sowie anlässlich einer vom Unternehmen in Auftrag gegebenen forensischen Sonderuntersuchung angelegt worden waren. Im Kern geht es dem Kläger um die Frage, weshalb Ernst & Young im April 2017 als Ergebnis der Prüfung des Konzernabschlusses der Wirecard AG zum 31.12.2016 einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilt hat, obwohl die Wirtschaftsprüfer noch kurz zuvor dokumentiert hatten, dass es offene Bilanzierungssachverhalte gebe, die im Zusammenhang mit der forensischen Sonderuntersuchung untersucht worden waren. Im März 2017 hatte der für die Abschlussprüfung verantwortliche Partner dem Finanzvorstand der Wirecard AG noch mitgeteilt, dass bestimmte in 2015 und 2016 gebuchte Umsätze nicht in angemessener Art und Weise nachgewiesen seien und dass sich aus den involvierten Beträgen Konsequenzen für den Konzernabschluss ergeben könnten. Ende März 2017 hatte die Beklagte abermals die Einschränkung des Bestätigungsvermerks angedroht, dann aber wenige Tage später das Testat erteilt.
Ernst & Young sieht keine Rechenschaftspflicht
Mit der Angelegenheit "Wirecard" hatte sich später unter anderem auch ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages befasst, dem die Beklagte die Handakten einschließlich der Arbeitspapiere herausgegeben hatte. Gegenüber dem Kläger, dem Insolvenzverwalter der Wirecard-Gesellschaften, war sie aber diesbezüglich nicht zur Auskunft über den Handakteninhalt, zur Gewährung von Einsicht oder zur Beantwortung der gestellten Fragen bereit. Sie verwies auf die besondere Stellung des Wirtschaftsprüfers als Abschlussprüfer, insbesondere auf seine Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, die bei Bejahung einer Rechenschaftspflicht gegenüber dem geprüften Unternehmen gefährdet sei. Außerdem unterlägen Wirtschaftsprüfer einer strengen Kontrolle durch die Berufsaufsicht. Eine etwaige Rechenschaftspflicht sei auf die "Handakten im engeren Sinne"“ begrenzt. Interne Arbeitspapiere seien dagegen durch § 51b Abs. 4 WPO von Auskunfts- und Herausgabeansprüchen ausgenommen.
LG: Abschlussprüfer grundsätzlich umfassend auskunfts- und rechenschaftspflichtig
Die Kammer gab dem Kläger durch Teil- und Endurteil Recht. Über den stufenweise geltend gemachten Herausgabeanspruch hatte sie noch nicht zu entscheiden. Nach Auffassung der Kammer unterliegen auch Abschlussprüfer grundsätzlich einer umfassenden Auskunfts- und Rechenschaftspflicht gegenüber dem Auftraggeber, ungeachtet ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit und ungeachtet ihrer Weisungsfreiheit. Der (hier vom Insolvenzverwalter geltend gemachte) Anspruch des Mandanten erstrecke sich auf Auskunft und auf Einsicht in die Handakten, insbesondere auch auf die Arbeitspapiere, die zu Recht als wichtige Ergänzung zum Prüfungsbericht gölten, denn sie müssten sämtliche Prüfungsnachweise enthalten und sollen der Stützung der Prüfungsaussagen dienen.
§ 51b Abs. 4 WPO schränkt nur die Herausgabe von Unterlagen ein
Im Rahmen des § 666 BGB müsse der Abschlussprüfer dem Auftraggeber in verkehrsüblicher Weise die notwendige Übersicht und die Kenntnis von den wesentlichen Einzelheiten der entfalteten Prüfungstätigkeit verschaffen. § 51b Abs. 4 WPO dürfe nicht dahingehend missverstanden werden, dass sämtliche Dokumente, mit deren Hilfe der Wirtschaftsprüfer den Fortgang der entfalteten Prüfungstätigkeit festhalte, dem Zugriff des Mandanten von vornherein entzogen wären. Die Norm schränke lediglich die Herausgabe von Unterlagen ein, nicht jedoch den Auskunftsanspruch des Auftraggebers durch Einsicht in die Unterlagen.