LG Saarbrücken: "Quälerei mit System" – Sechs Jahre Haft für Stiefmutter

Das Landgericht Saarbrücken hat eine 54-Jährige Stiefmutter am 26.10.2017 wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Ihr heute 25-Jähriger Stiefsohn hatte als Kind und Jugendlicher ein jahrelanges Martyrium erleben müssen: Seit seinem vierten Geburtstag hatte ihn seine Stiefmutter geschlagen, getreten und gedemütigt, ihm Zähne ausgeschlagen, Arme gebrochen, ihn hungern und auf dem Boden eines nicht geheizten Wintergartens schlafen lassen.

Jahrelange Gewalteinwirkung belegt

Die Kammer hatte keinerlei Zweifel an den Aussagen des Opfers. Sie alle standen im Einklang mit umfangreichen medizinischen Gutachten, die Missbildungen und Mangelernährung belegten. Als dem Jungen mit 17 Jahren die Flucht zum Jugendamt gelang, wog er nur 40 Kilo. So genannte Blumenkohlohren und erhebliche Fehlhaltungen beider Arme zeugen von ständiger und jahrelanger Gewalteinwirkung und nicht versorgten Brüchen.

"Völlig menschenunwürdige" Behandlung

"Es ging nicht darum, dass dem Jungen im Einzelfall mal eine Ohrfeige verpasst wurde", sagte der Vorsitzende Richter Andreas Lauer. "Sondern diese Behandlung hatte System. Der Junge wurde über viele Jahre entsprechend gequält." Das Kind sei "völlig menschenunwürdig" behandelt worden.

Körperverletzung "aus gefühlloser Gesinnung"

Man spreche von Körperverletzung "aus gefühlloser Gesinnung", wenn jemand jegliches Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren habe. "Das liegt hier auf der Hand", sagte Lauer. "Anders kann man eine solche Behandlung gegenüber einem kleinen Kind oder Jugendlichen nicht erklären."

Rolle des Vaters unklar - Ein Jahr Haft auf Bewährung 

Der Vater des Jungen, ein Lastwagen-Fahrer, der von den Misshandlunge nichts mitbekommen haben will, wurde wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Möglicherweise, räumte der Richter ein, müsse dieser "doch mehr gesehen und gewusst haben", als man heute hätte feststellen können. Zumindest 2007, nach dem Besuch eines Mitarbeiters des Jugendamtes, das der Junge um Hilfe gebeten hatte, habe er von der Mangelernährung seines Sohnes gewusst.

Lange Verfahrensdauer berücksichtigt

Zugunsten beider Angeklagten musste laut Kammer nicht nur berücksichtigt werden, dass die Taten im saarländischen Losheim sehr lange zurückliegen, sondern auch die Dauer des Verfahrens: Sechs Jahre sind vergangen, seit der Junge die Anzeige gegen Stiefmutter und Vater erstattet hatte. Umfangreiche rechtsmedizinische und psychiatrische Gutachten schlossen sich an.

Angeklagte bestritten Vorwürfe

Bis zum Schluss hatten beide Angeklagte die Vorwürfe bestritten. Vergebens hatte der Richter noch zu Beginn des Verfahrens an die Stiefmutter appellierte, zu gestehen und dem Zeugen die Aussagen zu ersparen, da aufgrund des Berichtes des Rechtsmediziners kein Zweifel bestehe, dass die Taten so stattgefunden hätten. Doch auch das letzte Wort vor der Urteilsverkündung nutzten die Angeklagten am 26.10.2017 nicht für eine persönliche Erklärung, für ein Bedauern oder gar für eine Entschuldigung an ihren Sohn.

Richter wandte sich an Angeklagte

"Er hätte noch besser abschließen können, wenn er da von Ihrer Seite etwas gehört hätte, was nur annähernd in diese Richtung geht", wandte sich der Richter abschließend an die Angeklagte. "Dass es nämlich hier keine heile Familie gab, sondern ein jahreslanges Martyrium eines Kindes und später eines Jugendlichen."

Anwältin zufrieden

Der 25-Jährige selbst, der auf der Zuschauerbank saß, wollte sich nach dem Urteil nicht äußern. "Ich muss das erstmal sacken lassen", sagte er. Seine Anwältin bilanzierte anschließend: "Wir sind zufrieden." Ziel ihres Mandanten sei es mit diesem Prozess gewesen, die Geschehnisse endlich abschließen zu können. "Ihm ist jetzt Gerechtigkeit widerfahren."

LG Saarbrücken, Urteil vom 26.10.2017

Redaktion beck-aktuell, Katja Sponholz, 27. Oktober 2017 (dpa).

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