Ver­si­che­rung muss Mün­che­ner Gast­wirt für co­ro­na­be­ding­te Be­triebs­schlie­ßung ent­schä­di­gen
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Ein Mün­che­ner Gas­tro­nom, der wegen der Co­ro­na-Pan­de­mie sei­nen Be­trieb schlie­ßen muss­te, kann von sei­ner Be­triebs­schlie­ßungs­ver­si­che­rung eine Ent­schä­di­gung in Höhe von 1.014.000 Euro ver­lan­gen. Der Ver­si­che­rungs­um­fang sei nicht auf die in den Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen ge­lis­te­ten Krank­hei­ten be­schränkt, ent­schied das Land­ge­richt Mün­chen I.

Ver­si­che­rung erst An­fang März 2020 ab­ge­schlos­sen

Ein Gast­wirt hatte am 04.03.2020 im Hin­blick auf die Co­ro­na-Ge­fahr eine pri­va­te Ver­si­che­rung ab­ge­schlos­sen, bei der auch das Ri­si­ko einer Be­triebs­schlie­ßung in­fol­ge des Aus­bruchs epi­de­mi­scher Krank­hei­ten ab­ge­deckt sein soll­te. Nach­dem es zur Co­ro­na-Pan­de­mie mit an­ge­ord­ne­ten Be­triebs­schlie­ßun­gen ge­kom­men war, for­der­te der Gast­wirt eine Ent­schä­di­gung in Mil­lio­nen­hö­he.

LG: Ver­si­che­rung muss zah­len

Das LG hat der Klage des Gast­wirts statt­ge­ge­ben. Die Ver­si­che­rung sei ver­trags­ge­mäß zur Ent­schä­di­gung ver­pflich­tet. Das Baye­ri­sche Staats­mi­nis­te­ri­um für Ge­sund­heit und Pfle­ge habe ab dem 21.03.2020 den klä­ge­ri­schen Be­trieb auf­grund des Co­ro­na­vi­rus ge­schlos­sen. Ent­ge­gen der An­sicht der be­klag­ten Ver­si­che­rung komme es auf die Rechts­form und die Recht­mä­ßig­keit der An­ord­nung nicht an. Der Klä­ger habe auch nicht gegen die An­ord­nun­gen vor­ge­hen müs­sen. Zudem sei es nicht er­for­der­lich, dass das Co­ro­na­vi­rus im Be­trieb des Klä­gers auf­tre­te, denn nach den All­ge­mei­nen Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen (AVB) komme es le­dig­lich dar­auf an, dass der Be­trieb des Klä­gers auf­grund des In­fek­ti­ons­schutz­ge­set­zes ge­schlos­sen wor­den sei. Dies sei der Fall ge­we­sen, nach­dem sich die All­ge­mein­ver­fü­gung des Baye­ri­schen Staats­mi­nis­te­ri­ums für Ge­sund­heit und Pfle­ge vom 21.03.2020 und die nach­fol­gen­de Ver­ord­nung vom 24.03.2020 aus­drück­lich auf die Er­mäch­ti­gungs­grund­la­gen in den §§ 28 - 32 IfSG be­zo­gen hät­ten.

Gas­tro­nom muss­te nicht auf Au­ßer­haus­ver­kauf zu­rück­grei­fen

Der Be­trieb des Klä­gers sei voll­stän­dig ge­schlos­sen ge­we­sen, nach­dem in der frag­li­chen Zeit tat­säch­lich kein Au­ßer­haus­ver­kauf statt­ge­fun­den habe und letz­te­rer dem Klä­ger auch un­zu­mut­bar ge­we­sen sei. Ein Au­ßer­haus­ver­kauf stel­le, wenn er für den Re­stau­rant­be­trieb le­dig­lich ein voll­kom­men un­ter­ge­ord­ne­tes Mit­nah­me­ge­schäft sei, keine un­ter­neh­me­ri­sche Al­ter­na­ti­ve dar, auf die sich der Ver­si­che­rungs­neh­mer ver­wei­sen las­sen müsse.

Ver­si­che­rungs­um­fang nicht auf ge­lis­te­te Krank­hei­ten be­schränkt

Der Ver­si­che­rungs­um­fang sei auch nicht durch § 1 Zif­fer 2 AVB ein­ge­schränkt, denn die Par­tei­en hät­ten den Ver­si­che­rungs­ver­trag am 04.03.2020 – mit­hin wäh­rend der Pan­de­mie und im Hin­blick dar­auf – ab­ge­schlos­sen. Un­ab­hän­gig davon sei § 1 Zif­fer 2 AVB der be­klag­ten Ver­si­che­rung in­trans­pa­rent und daher un­wirk­sam. Werde der Ver­si­che­rungs­schutz durch eine AVB-Klau­sel ein­ge­schränkt, müsse dem Ver­si­che­rungs­neh­mer deut­lich vor Augen ge­führt wer­den, in wel­chem Um­fang Ver­si­che­rungs­schutz trotz der Klau­sel be­stehe. Die­sen An­for­de­run­gen werde § 1 Zif­fer 2 AVB nicht ge­recht. Denn der Ver­si­che­rungs­neh­mer gehe auf Basis des Wort­lauts von § 1 Zif­fer 1 AVB davon aus, dass der Ver­si­che­rungs­schutz dem Grun­de nach um­fas­send sei und sich mit dem IfSG decke. Er gehe auf­grund des Wort­lauts und der Ver­wei­sung in § 1 Zif­fer 1 AVB zudem davon aus, dass in § 1 Zif­fer 2 AVB eine bloße Wie­der­ga­be der ge­setz­lich er­fass­ten Krank­hei­ten und Krank­heits­er­re­ger er­fol­ge und nur in § 3 AVB Ein­schrän­kun­gen ent­hal­ten seien. Die Auf­lis­tung der Krank­hei­ten und Krank­heits­er­re­ger sei je­doch im Ver­gleich zum IfSG un­voll­stän­dig.

Kurz­ar­bei­ter­geld oder staat­li­che Co­ro­na-Li­qui­di­täts­hil­fen min­dern An­spruch nicht

Au­ßer­dem sei das In­fek­ti­ons­schutz­ge­setz seit des­sen Ein­füh­rung vor 20 Jah­ren be­reits mehr­fach ge­än­dert und um wei­te­re Krank­hei­ten und Er­re­ger er­gänzt wor­den. Dies blie­be dem Ver­si­che­rungs­neh­mer ver­bor­gen und damit müsse er auch nicht rech­nen. Um den wah­ren Ge­halt des Ver­si­che­rungs­schut­zes zu er­fas­sen, müss­te der Ver­si­che­rungs­neh­mer letzt­lich die Auf­lis­tung in § 1 Zif­fer 2 AVB Wort für Wort mit der ak­tu­el­len gel­ten­den Fas­sung des IfSG ver­glei­chen. Eine Klau­sel, deren Trag­wei­te nur durch den Ver­gleich mit einer ge­setz­li­chen Vor­schrift er­kenn­bar sei, die aber dem durch­schnitt­li­chen Ver­si­che­rungs­neh­mer die­ser Ver­si­che­rung nicht be­kannt sei, sei in­trans­pa­rent. Im Hin­blick auf die Höhe der zu zah­len­den Ent­schä­di­gung seien weder Kurz­ar­bei­ter­geld noch staat­li­che Co­ro­na-Li­qui­di­täts­hil­fen an­spruchs­min­dernd zu be­rück­sich­ti­gen, da es sich hier­bei nicht um Scha­den­er­satz­zah­lun­gen ge­ra­de für Be­triebs­schlie­ßun­gen han­de­le.

LG München I, Urteil vom 01.10.2020 - 12 O 5895/20

Redaktion beck-aktuell, 1. Oktober 2020.

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