Kein Schmerzensgeld wegen polizeilichen Schusswaffengebrauchs

Eine Frau, die während eines Polizeieinsatzes angeschossen wurde, bekommt wegen ihrer Verletzungen kein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 Euro. Das Landgericht München I hat am Mittwoch eine entsprechende gegen den Freistaat Bayern gerichtete Klage abgewiesen. Die Klägerin hatte vor dem Schuss einen Arzt und mehrere Polizisten mit einem Messer bedroht. Nach Ansicht des Gerichts wurde das für Polizeieinsätze geltende Übermaßverbot nicht verletzt.

Bereitschaftsarzt mit Messer bedroht

Im September 2020 rief der Ehemann der Klägerin den ärztlichen Bereitschaftsdienst wegen akuter psychischer Probleme. Die Klägerin bedrohte den diensthabenden Bereitschaftsarzt vor Ort mit einem Messer. Dieser flüchtete in sein Dienstfahrzeug. Mit Notruf wurde die Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums München über den Vorfall informiert und polizeiliche Hilfe angefordert. Gegen 1.00 Uhr traf eine Polizeistreife mit mehreren Polizeibeamten ein. Das Messer, mit dem der Bereitschaftsarzt bedroht worden war, stellte die Polizei sicher.

Auf Polizisten mit Messer zugelaufen

Kurz darauf holte die Klägerin aus der Küche ein 25,5 Zentimeter langes Messer. Sie ging in den Flur, wo sich anfänglich sechs Polizeibeamte befanden, wobei sie das Messer im leicht angewinkelten Arm in der rechten Hand hielt und Griff sowie Klinge des Messers oben aus ihrer Faust heraus zeigten. Daraufhin zogen zwei der anwesenden Polizisten ihre Dienstwaffen und forderten die Klägerin lautstark auf, das Messer wegzulegen. Die Klägerin ging dennoch mit vorgehaltenem Messer wortlos weiter auf die Polizeibeamten zu. Die Polizeibeamten wichen – soweit möglich – in Richtung Haustür zurück.

Schuss eines Polizisten trifft Klägerin

Als die Frau sich näherte und noch immer das Messer drohend in die Richtung der Polizeibeamten hielt, gab einer der Polizeibeamten einen Schuss aus seiner Dienstwaffe ab. Die Klägerin wurde im Bauch getroffen, fiel zu Boden und ließ das Messer fallen. Sie wurde im Krankenhaus mehrmals operiert und einige Wochen stationär behandelt. Die hausärztliche Behandlung der Klägerin dauert an.

Klägerin: Schuss nicht erforderlich

Die Frau vertrat mit ihrer Klage die Auffassung, eine Rechtfertigung durch Notwehr scheide aus, da der Schuss des Polizeibeamten nicht erforderlich gewesen sei. Es seien mehrere Polizeibeamte anwesend gewesen, welche die Klägerin mit einem Schlagstock oder mit Pfefferspray hätten überwältigen können. Ferner hätte zunächst ein Warnschuss abgegeben werden müssen. Letztlich hätte der Polizeibeamte zumindest auf die Arme oder Beine der Klägerin zielen müssen, was weniger gravierende Verletzungsfolgen verursacht hätte.

LG sieht Übermaßverbot nicht verletzt

Zur Überzeugung des LG handelte der Polizeibeamte indes nicht amtspflichtwidrig. Insbesondere sei das für Polizeieinsätze geltende Übermaßverbot nicht verletzt worden. Das LG habe hierbei berücksichtigt, dass Schusswaffen durch die Polizei nur gebraucht werden dürfen, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs erfolglos angewendet sind oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen. Mildere Maßnahmen seien nur dann anzuwenden, wenn sie eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr mit Sicherheit erwarten lassen, ohne dass Zweifel über die Wirkung des Verteidigungsmittels verbleiben. Polizeibeamte müssten sich nicht auf das Risiko einer ungenügenden Abwehrhandlung einlassen, betont das Gericht.

Schuss einzige effektive Abwehrmöglichkeit

Die Richter haben in der mündlichen Verhandlung Fotos und Skizzen von den Räumlichkeiten in Augenschein genommen und Zeugen befragt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es in der konkreten Situation keine andere effektive Abwehrmöglichkeit mehr gab. Für das Gericht sei bei seiner Entscheidung ausschlaggebend gewesen, dass die Klägerin zuvor mehrfach deutlich aufgefordert worden war, das Messer wegzulegen und die Schussabgabe ihr vorher angedroht wurde. Der den Schuss abgebende Polizeibeamte habe zudem zunächst vergeblich versucht, im engen Hausflur zurückzuweichen.  Es sei nicht möglich gewesen, die Klägerin zu überwältigen, da der Flur des Hauses sehr eng gewesen sei und die Klägerin ein Messer in der Hand gehalten habe, welches sie jederzeit hätte benutzen können. Der Einsatz von Pfefferspray oder einem Schlagstock sei deshalb nicht zielführend gewesen, um den Angriff der Klägerin mit dem Messer sicher effektiv abzuwehren.

Schuss in Arm oder Bein keine Alternative

Dagegen, dass die Klägerin unter dem Eindruck eines vorherigen Warnschusses willentlich das Messer weggelegt hätte, spreche in diesem Fall schon, dass sie auch auf jegliche andere Ansprache, insbesondere auch auf die Androhung des Schusswaffengebrauchs unter vorgehaltener Waffe nicht reagiert habe. Ein Schuss in Arm oder Bein hätte den Angriff der Klägerin in der konkreten Situation ebenfalls nicht sicher endgültig beendet. Sie hätte möglicherweise trotz eines Treffers aufgrund der geringen Distanz zum Polizeibeamten noch zustechen können. Dieses Risiko habe der Polizeibeamte in der konkreten Situation nicht eingehen müssen. Denn mit einem Messer könnten sehr schnell schwere bis tödliche Verletzungen zugefügt werden.

LG München I, Entscheidung vom 19.04.2023 - 15 O 14153/21

Redaktion beck-aktuell, 19. April 2023.