Tränen im voll besetzten Zuschauerraum
Die Staatskasse müsse ihn für die zu Unrecht verhängte Gefängnisstrafe entschädigen, so Ehrl weiter. Es sei ein steiniger Weg für den Angeklagten gewesen, den er mit bewundernswerter Geduld gegangen sei. "Wie es in Ihnen aussieht, kann man nur erahnen." Genditzki nahm das Urteil ruhig und gefasst auf, im voll besetzten Zuschauerraum gab es Tränen.
Gericht sieht keine tatsächlichen Anhaltspunkte für Tötungsdelikt
Das Gericht geht davon aus, dass die alte Frau, für deren angebliche Ermordung Genditzki im Gefängnis saß, keinem Verbrechen zum Opfer fiel und dass sie "infolge eines Unfallgeschehens zu Tode kam". Ein solcher Unfall sei nach den Ausführungen von Sachverständigen im Prozess "nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich". Ein Tötungsdelikt sei zwar "denktheoretisch möglich", es gebe aber "keine tatsächlichen Anhaltspunkte" dafür. Nicht nur die Verteidigung, auch die Staatsanwaltschaft hatte einen Freispruch gefordert, weil es nicht nur Zweifel daran gibt, dass Genditzki den Mord an einer alten Frau begangen hat, sondern auch daran, dass es überhaupt ein Verbrechen gab. Aus Sicht von Gutachtern, die in dem Prozess zu Wort kamen, ist ein Unfall der Seniorin möglich oder sogar wahrscheinlich.
Im Jahr 2010 zu lebenslanger Haft verurteilt
Der inzwischen 63 Jahre alte Genditzki, der in der Wohnanlage der Getöteten als Hausmeister tätig war, war 2010 vom Landgericht München II zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Nach Überzeugung des Schwurgerichts hatte er die Seniorin im Oktober 2008 in deren Wohnung im oberbayerischen Rottach-Egern nach einem Streit auf den Kopf geschlagen und dann in der Badewanne ertränkt. Er hat die Vorwürfe stets bestritten – so auch in seinem letzten Wort im neuen Prozess: "Und: Ich möchte noch sagen, ich bin unschuldig. Das war's." Auch das Gericht ging nun im dritten Prozess-Durchgang davon aus, dass die Frau in die Wanne stürzte, als sie Wäsche waschen oder sich ein Fußbad einlassen wollte, dass sie sich nicht befreien konnte – womöglich, weil sie bewusstlos war – und darum ertrank.
Insgesamt 368.400 Euro für 13 Jahre
Nach dem Freispruch stehen Genditzki Entschädigungszahlungen zu, die Kritiker für viel zu gering halten. Nach Angaben des Justizministeriums bekommt ein zu Unrecht Inhaftierter 75 Euro Entschädigung pro Haft-Tag. Das wären in Genditzkis Fall 368.400 Euro für 13 Jahre, in denen er seine Kinder kaum sah und die Geburt des Enkelkindes verpasste. Bis vor einigen Jahren lag der Satz sogar nur bei 25 Euro pro Tag. Zusätzlich zur Entschädigung kann Genditzki noch materielle Schäden geltend machen, beispielsweise wegen Verdienstausfalls.
DAV fordert Erhöhung der Entschädigungszahlungen
Rainer Spatscheck, Vorsitzender des Ausschusses Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV), forderte: "Für uns ist klar: Eine faire Haftentschädigung muss mindestens 100 Euro für jeden Tag erlittener Haft betragen." Der Entzug der eigenen Freiheit sei die härteste Sanktion des Rechtsstaates. Wer ihn unschuldig erleide, unterliege einer enormen, mit andauernder Haft steigenden psychischen Belastung. In europäischen Nachbarländern wie der Schweiz, den Niederlanden, Frankreich und Spanien würden bereits dreistellige Haftentschädigungen gezahlt. In Deutschland hingegen werde unrechtmäßig Inhaftierten sogar die ihnen aufgezwungene Kost und Logis in Rechnung gestellt und von der Entschädigungssumme abgezogen. Das Bundesjustizministerium habe zwar bereits ein Eckpunktepapier vorgestellt, das diesen Zustand beenden solle, die Umsetzung dieser Pläne lasse aber auf sich warten (Az.: 1 Ks 121 Js 158369/19).