EuGH-Vorlage zu einstweiligen Verfügungen in Patentstreitsachen

Ist es mit dem Unionsrecht vereinbar, dass Oberlandesgerichte den Erlass einstweiliger Maßnahmen wegen der Verletzung von Patenten grundsätzlich verweigern, wenn das Streitpatent noch kein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren durchlaufen hat und darin bestätigt wurde? Dies möchte das Landgericht München I vom Europäischen Gerichtshof geklärt wissen.

Gesicherter Rechtsbestand als Voraussetzung für einstweilige Verfügung

Der Erlass einer einstweiligen Verfügung in einer Patentverletzungssache setzt grundsätzlich neben Verfügungsanspruch (Verletzung des Verfügungspatents) und Verfügungsgrund (Dringlichkeit) die Glaubhaftmachung eines hinreichend gesicherten Rechtsbestands des Verfügungspatents voraus. Hierfür ist es nach der derzeitigen obergerichtlichen Rechtsprechung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Fall einer Patentverletzung grundsätzlich nicht ausreichend, dass das geltend gemachte Patent von der Erteilungsbehörde - in diesem Fall dem Europäischen Patentamt - nach eingehender Prüfung erteilt wurde.

Gesicherter Rechtsbestand nur bei weiterer Bestätigung der Patentfähigkeit

Vielmehr fordern mehrere Oberlandesgerichte, dass das erteilte Patent grundsätzlich vor Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen seiner Verletzung in einem erstinstanzlichen Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren ein weiteres Mal auf seine Patentfähigkeit hin geprüft wurde. Denn von einem gesicherten Rechtsbestand könne nur ausgegangen werden, wenn sich das Patent bereits in einem Einspruchs-/Beschwerdeverfahren vor dem Europäischen Patentamt (EPA) oder des Bundespatentgerichts im Nichtigkeitsverfahren als rechtsbeständig erwiesen hat.

LG: Auslegung durch Oberlandesgerichte unionsrechtswidrig

Das LG München I hält diese Auslegung für unionsrechtswidrig und hat deshalb den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren angerufen. Nach Art. 9 Abs. 1 der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG solle sichergestellt sein, dass gegen einen Patentverletzer eine einstweilige Maßnahme angeordnet werden kann, um die Fortsetzung einer Patentverletzung zu untersagen. Das sei aber nach obiger OLG-Rechtsprechung nicht möglich, denn ein – wie im vorliegenden Fall – gerade erst erteiltes Patent könne ein Rechtsbestandsverfahren noch gar nicht durchlaufen haben. Denn Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren seien erst nach Patenterteilung möglich.

Eingehende fachliche Prüfung bereits vor Erteilung

Auch viele Patente, deren Erteilung bereits lange zurück liege, hätten oftmals im Zeitpunkt der Beantragung einer einstweiligen Maßnahme noch kein solches Rechtsbestandsverfahren durchlaufen. Der Patentinhaber habe naturgemäß auch gar keinen Einfluss darauf, ob sein Patent nach Erteilung mit einem Einspruch oder einer Nichtigkeitsklage angegriffen wird. Eine einstweilige Maßnahme könne dann trotz eines akuten Verletzungssachverhaltes grundsätzlich erst ergehen, wenn ein Rechtsbestandsverfahren erstinstanzlich abgeschlossen ist. Dies könne viele Monate oder gar Jahre dauern. Die Fortsetzung der Patentverletzung müsse in dieser Zeit nach der zur Überprüfung gestellten Rechtsprechung hingenommen werden, obwohl im Fall eines Patentes – anders als bei anderen Rechten des geistigen Eigentums – bereits eine eingehende fachliche Prüfung erfolgt, bevor es erteilt werden kann.

LG München I, Beschluss vom 19.01.2021 - 21 O 16782/20

Redaktion beck-aktuell, 20. Januar 2021.