Die von einem Wettbewerber im Arzneimittelsektor verklagten Pharmaunternehmen wurden im einstweiligen Rechtsschutz zur Unterlassung des Vertriebs ihres Medikaments für seltene Leiden ohne bestimmte, im Einzelnen im Tenor benannte begleitende Maßnahmen zum Schutz des Orphan-Drug-Marktexklusivitätsrechts der Verfügungsklägerin verurteilt.
Die Unternehmensgruppe der Verfügungsklägerin vertreibt ein Medikament, das für vier seltene Krankheiten zugelassen ist: die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie ("PNH"), das atypische Hämolytisch-Urämische Syndrom ("aHUS"), die refraktäre generalisierte Myasthenia Gravis ("gMG"), und Neuromyelitis-Optica-Spektrum-Erkrankungen ("NMOSD"). Für drei der Krankheiten, nämlich aHUS, gMG und NMOSD hält sie neben der Marktzulassung auch Exklusivitätsrechte für seltene Leiden gemäß der Verordnung (EG) 141/2000. Für die Krankheit PNH ist das Marktexklusivitätsrecht bereits abgelaufen.
Die Unternehmensgruppe der Verfügungsbeklagten hat für ihr Medikament, ein so genanntes Biosimilar zu dem Referenzprodukt der Klägerin, die Zulassung für die Indikation PNH erlangt und es auf den deutschen Markt gebracht. Nach Erlass der Beschlussverfügung wurde das Medikament wieder vom Markt genommen.
Voraussetzungen für Unterlassungsverfügung liegen vor
Zur Überzeugung des LG liegen die Voraussetzung für die Gewährung einer Unterlassungsverfügung vor. Die Beklagtenseite hatte argumentiert, dass die Orphan-Drugs-Verordnung nur ein (öffentlich-rechtliches) Zulassungsverbot ausspreche, aus dem sich kein zivilrechtlicher Verbotsanspruch gegen Wettbewerber herleiten lasse.
Das LG bejaht dagegen einen zivilrechtlichen Verbotsanspruch. Das Marktexklusivitätsrecht der Verordnung 141/2000/EG für Orphan Drugs ist nach seiner Überzeugung ein absolutes, subjektives Recht. Inhalt des vom Verordnungsgeber gewährten Marktexklusivitätsrechts sei es jedenfalls auch, gegenüber Wettbewerbern Schutz vor Beeinträchtigungen oder Verletzungen der gewährten Marktexklusivität für Orphan Drugs zu gewähren.
Nach dem Verständnis des LG wollte der Verordnungsgeber mit dem Marktexklusivitätsrecht eine über die bloße Zulassungssituation hinausgehende Rechtsposition schaffen. Das Marktexklusivitätsrecht sei nach der Verordnung der maßgebliche Anreiz für Investitionen im Bereich der Orphan Drugs. Das könne nur gelingen, wenn (über die regulatorische Zulassungssituation hinaus) dem Inhaber die Möglichkeit gegeben wird, individuell gegen Umgehungen seines Rechts vorzugehen.
Verfügungsbeklagte sind mittelbare Handlungsstörer
Das LG ist der Auffassung, dass die Verfügungsbeklagten als sogenannte mittelbare Handlungsstörer durch Empfehlungsschreiben einen adäquat-kausalen Beitrag für eine indikationsübergreifende Verwendung ihres Medikaments auch in den drei für die Unternehmensgruppe der Klägerin geschützten Indikationen gesetzt haben.
Die von der Verfügungsklägerin glaubhaft gemachte Begehungsgefahr hätten die Verfügungsbeklagten bis zum maßgeblichen Schluss der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt. Rechtsfolge sei die Anordnung, das angegriffene Medikament nicht ohne bestimmte, im Tenor benannte Schutzmaßnahmen zu vertreiben. Wie das Gericht mitteilte, ist die Erhebung der Hauptsacheklage angeordnet. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.