Bewährungsstrafe für früheren KZ-Wachmann wegen Beihilfe zum Mord

Das Landgericht Hamburg hat einen ehemaligen SS-Wachmann im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Jugendstrafkammer sprach den 93 Jahre alten Angeklagten am 23.07.2020 der Beihilfe zum Mord in 5.232 Fällen und wegen Beihilfe zu einem versuchten Mord schuldig. Der Prozess findet nach Jugendstrafrecht statt, weil der Mann zu Beginn der Tatzeit im Jahr 1944 erst 17 Jahre alt war.

Angeklagter war unfreiwillig Wachmann

"Wie konnten Sie sich bloß an das Grauen gewöhnen?" fragte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring den 93-Jährigen bei der Urteilsbegründung. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Jugendstrafe von drei Jahren Haft beantragt, die Verteidigung Freispruch gefordert. Bereits zum Auftakt des Prozesses im Oktober 2019 hatte der 93-Jährige bestätigt, dass er von August 1944 bis April 1945 Wachdienst in dem Lager bei Danzig verrichtet hatte. Er hatte betont, dass er nicht freiwillig Wachmann wurde. Als Wehrmachtssoldat sei er wegen eines Herzfehlers nicht frontdienstfähig gewesen und in das Lager abkommandiert worden. In seinem letzten Wort vor Gericht hatte er die Überlebenden und Hinterbliebenen der KZ-Opfer um Entschuldigung gebeten.

Über 5.000 Gefangene während Dienstzeit des Angeklagten ermordet

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft waren während der Dienstzeit des Angeklagten mindestens 5.230 Gefangene ermordet worden. 30 wurden in einer geheimen Genickschussanlage im Krematorium des Lagers getötet. Mindestens 200 wurden in der Gaskammer und in einem verschlossenen Eisenbahnwaggon mit Zyklon B umgebracht. Wenigstens 5.000 Menschen starben in Folge der lebensfeindlichen Bedingungen im sogenannten Judenlager von Stutthof.

35 Überlebende des KZ Nebenkläger

An dem Prozess waren rund 40 Nebenkläger beteiligt, unter ihnen 35 Überlebende des Konzentrationslagers. Vier von ihnen hatten persönlich im Gerichtssaal ausgesagt, zwei waren über eine Videoschaltung angehört worden. Sie hatten von täglichen Misshandlungen wie Schlägen und stundenlangen Appellen, Hinrichtungen sowie von Hunger und einer Fleckfieber-Epidemie berichtet.

Ende eines der letzten NS-Prozesse

Mit dem Urteil geht einer der letzten NS-Prozesse zu Ende. Ein weiteres Verfahren gegen einen anderen ehemaligen Wachmann in Stutthof könnte vor dem LG Wuppertal beginnen. Vor der Jugendstrafkammer wurde Mitte Juli 2020 ein 95 Jahre alter Mann angeklagt, wie ein Sprecher des Gerichts sagte. Es steht aber noch ein Gutachten zur Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten aus.

In Deutschland noch 14 Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen in KZ

Nach Angaben der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg führen die deutschen Staatsanwaltschaften insgesamt noch 14 Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen in Konzentrationslagern. Offen seien drei Verfahren zu Buchenwald bei der Staatsanwaltschaft Erfurt und acht zu Sachsenhausen bei der Anklagebehörde in Neuruppin. Zudem beschäftige das Lager Mauthausen mit jeweils einem Verfahren die Staatsanwaltschaften München I und Berlin. Ferner ermittelt die Staatsanwaltschaft Itzehoe gegen eine ehemalige Schreibkraft im KZ Stutthof.

Redaktion beck-aktuell, 23. Juli 2020 (dpa).