Urteil nicht anonymisiert: Anwalt mit Geldproblemen verliert gegen Openjur
© Screenshot (privat)

Die Datenbank Openjur macht Gerichtsentscheidungen kostenlos öffentlich zugänglich. Nachdem sie einen Beschluss nicht anonymisiert hatte, in dem sich auch seine Vermögensverhältnisse fanden, klagte ein namentlich erkennbarer Anwalt. Doch vor dem LG Hamburg verlor er nun.

Eigentlich müssen Gerichtsentscheidungen vor der Veröffentlichung anonymisiert werden. Das hatte die Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz bei einem Beschluss des VG Berlin jedoch versäumt und die Entscheidung mitsamt dem Namen und einigen Details über die finanzielle Situation des klagenden Anwalts in ihrer Rechtsprechungsdatenbank veröffentlicht.

Von dort hatte Openjur den Beschluss mittels eines automatisierten Prozesses übernommen und seinerseits ohne Anonymisierung veröffentlicht. Der hinter der 2008 gegründeten Plattform stehende Verein will nach seiner Satzung "die Erstellung, Sammlung und Verbreitung freier juristischer Inhalte in selbstloser Tätigkeit fördern, um die Chancengleichheit beim Zugang zu Wissen und Bildung zu fördern".

Der Beschluss mit den Daten des Anwalts war schon seit etwa einem Jahr online, als er auf die fehlende Anonymisierung aufmerksam geworden war. Inhaltlich ging es in dem Verfahren des Anwalts gegen das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Berlin u.a. um verspätet gezahlte Versorgungsbezüge, weswegen das Versorgungswerk gegen ihn die Zwangsvollstreckung betrieb. Auch Ausführungen zu seinem ehemaligen Arbeitsplatz sowie dazu, dass er eine Zeitlang Arbeitslosengeld 1 bezogen habe, wollte der Advokat nicht öffentlich zugänglich und mit Namensnennung im Netz sehen.

LG: Openjur arbeitet journalistisch

Infolge seiner Abmahnung entfernte Openjur zwar seinen Namen umgehend. Den geforderten Schadensersatz sowie Kostenerstattung wollte das gemeinnützige Unternehmen aber nicht zahlen. Gerichtlich machte der Anwalt dann neben einem Unterlassungsanspruch auch Schadensersatz nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO und eine Entschädigung nach § 823 Abs. 1 BGB geltend. Mit seiner Klage gegen Openjur hatte der Anwalt nun jedoch keinen Erfolg. Das LG Hamburg entschied, dass ihm weder ein Unterlassenanspruch noch Schadensersatz zustehen (Urteil vom 28.03.2025 – 24 O 278/23).

Das LG verneinte bereits den Unterlassungsanspruch des Anwalts. Insbesondere könne dieser nicht aus Art. 17 DS-GVO abgeleitet werden, denn die Bereichsausnahme gemäß Art. 85 Abs. 2 DS-GVO greife: Werden Daten zu journalistischen Zwecken verarbeitet, ist nationales Recht einschlägig.

Die journalistischen Zwecke sieht die für das Presserecht zuständige 24. Zivilkammer bei Openjur erfüllt. Zum einen fordere das Unternehmen gezielt Urteile bei Gerichten an, kuratiere diese und versehe sie mit eigenen – redaktionellen – Ergänzungen. Zum anderen spreche für eine redaktionelle Tätigkeit auch, dass Openjur manche Entscheidungen über Social Media verbreite und ihnen insofern einen meinungsbildenden Charakter verleihe.

Diese Tätigkeit unterscheide sich maßgeblich von einem bloßen Datensammeln oder einem bloßen Verbreiten von Inhalten Dritter, so das Gericht. Dabei komme es weder darauf an, ob Openjur viele Entscheidungen nur automatisiert aus anderen Datenbanken übernehme noch darauf, ob der Beschluss des VG Berlin händisch zum Beispiel mit Leitsätzen bearbeitet worden sei. Selbst wenn Openjur den überwiegenden Teil der Entscheidungen automatisiert abrufen würde, wäre die redaktionelle Tätigkeit des Unternehmens, die es braucht, um die Rechtsprechungsdatenbank bereitzuhalten, ausreichend, um von einer journalistischen Tätigkeit auszugehen, konstatiert das LG. Und meint, hilfsweise könnte Openjur sich vermutlich auch auf die Bereichsausnahme für die Verarbeitung zu wissenschaftlichen Zwecken berufen.

Privilegierte Quelle: Nur notice and take down

Auch einen Unterlassungsanspruch aus den nationalen Vorschriften – hier §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG – lehnte das LG ab. Zwar beeinträchtige die Veröffentlichung der Entscheidung mit dem Klarnamen des Anwalts dessen Persönlichkeitsrecht, weil sie dessen beruflichen Fortkommen schaden könnten. Dass er selbst geklagt und sich damit quasi in eine Gerichtsöffentlichkeit begeben habe, ändere nichts daran, dass es kein überwiegendes öffentliches Interesse an der Person des Anwalts gebe. Die Gerichtsöffentlichkeit sei eine andere als die Internetöffentlichkeit.

Nach einer Abwägung kam das Gericht aber zu dem Schluss, dass Openjur in Wahrnehmung berechtigter Interessen und damit gerechtfertigt gehandelt habe. Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, die den Beschluss ursprünglich veröffentlicht hatte, sei als sogenannte privilegierte Quelle besonders vertrauenswürdig. Es hätten, so die Pressekammer, schon konkrete Zweifel daran bestehen müssen, dass die Senatsverwaltung die Rechte Dritter wahrt, was hier nicht der Fall gewesen sei, bis die Anfrage des Anwalts ankam. Daraufhin sei Openjur unverzüglich tätig geworden und habe den Namen des Klägers aus der Entscheidung entfernt. Eine Pflicht zur Nachrecherche habe es deshalb nicht gegeben.

Diese Argumentation bedeutete zugleich auch eine Absage an einen eventuellen Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung nach § 823 Abs. 1 BGB. Da sich die Veröffentlichung des Namens nach nationalem Recht aufgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen als gerechtfertigt darstelle, komme dieser nicht in Betracht, so das LG.

Nur immaterieller Schadensersatz denkbar

Auf derselben Grundlage lehnte das Gericht auch einen Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO ab. Weil die Bereichsausnahme des Art. 85 DS-GVO griffe, sei auch diese Norm nicht anwendbar. Hier beruft sich das LG auf den BGH. Laut dem obersten Gericht liege es "auf der Hand, dass ein Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 Abs. 1 DS-GVO nicht auf die Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen durch eine journalistische Tätigkeit gestützt werden kann, wenn die Bestimmungen für die Tätigkeit gar nicht gelten".

Anders liege die Sache allerdings, soweit der Anwalt auf Grundlage der DS-GVO einen immateriellen Schadensersatz geltend mache. Das hatte der Mann vorliegend mit Verweis auf Art. 15 DS-GVO getan. Danach können Betroffene Auskunft über die Verarbeitung personenbezogener Daten verlangen und haben im Falle einer Verletzung dieses Auskunftsrechts einen Schadensersatzanspruch.

Openjur habe dem Anwalt die Auskunft über die Datenverarbeitung verspätet erteilt, was den Mann "spürbar unangenehm und emotional stark" belastet habe. Hier hielt das Gericht zumindest die Anspruchsgrundlage für anwendbar, letztlich scheiterte der Anwalt jedoch auch mit dieser Forderung: Er habe nicht darlegen können, dass ihm ein Schaden gerade durch die Verspätung entstanden sei.

LG Hamburg, Urteil vom 28.03.2025 - 24 O 278/23

Redaktion beck-aktuell, dd/pl, 12. Mai 2025.

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